Bizarre Szenen im deutschen Fernsehen! Als bei «Maischberger» der langjährige Spiegel-Chef Stefan Aust mit ARD-Börsen-Expertin Anja Kohl und der Vizechefin des Redaktionsnetzwerks Deutschland, Kristina Dunz, über die Rolle der erneuerbaren Energien und die Energiewende diskutieren, kommt es zu folgendem Dialog:

Kohl: «Wollen Sie jetzt die Wissenschaft in Frage stellen?»

Aust: «Ja.»

Dann könne man nicht mehr diskutieren, fährt Kohl auf, wirft die Hände in die Luft. Dunz versucht es mit dem Beispiel Südpol, der abschmelze, ermunterte Aust zu einem klimakritischen Blick in seinen Garten, was unfreiwillig komisch ist, weil der Ex-Spiegel-Chef als Pferdezüchter mutmasslich genug Auslauf und Naturerfahrung hat, um die aktuellen Wetterkapriolen hautnah einschätzen zu können.

Kohlendioxid sei ein «Auslaufmodell», belehrt ihn die Börsen-Expertin, ein «Stranded Asset», in das niemand mehr investieren wolle, was denn doch für eine Wirtschaftserklärerin ein wenig peinlich ist, weil sie die Milliardeninvestitionen in die Erschliessung von Gas- und Ölfeldern der führenden Unternehmen offenbar nicht zur Kenntnis nimmt.

«Demnach suchen oder erschliessen 96 Prozent der 700 erfassten Förderunternehmen neue Öl- und Gasfelder», schreibt der Spiegel am 15. November 2023 und zitiert nicht etwa eine Selbstauskunft der Öl-Multis, sondern die «Global Oil and Gas Exit List» der Umweltschutzorganisation Urgewald. «Allein für die Suche seit dem Jahr 2021 hätten die Konzerne mehr als 170 Milliarden Dollar ausgegeben, schreibt Urgewald. 539 Unternehmen arbeiten laut der Liste aktuell daran, insgesamt 230 Milliarden Barrel (je 159 Liter) Öläquivalent aus bisher unerschlossenen Vorkommen in Produktion zu bringen. Dies entspricht dem derzeitigen globalen Erdölverbrauch von mehr als sechs Jahren.»

Und auch die von den Journalistinnen bemühte Zahl, wonach Deutschland bereits die Hälfte seiner Energie aus Erneuerbaren beziehe, stimmt leider nur mit Blick auf den reinen Stromverbrauch. Nimmt man die Energie von Verkehr und Heizung hinzu, liegt der Anteil der Erneuerbaren oberhalb von zwanzig Prozent.

Ganz grundsätzlich allerdings muss man sich fragen, wie realitätsresistent auch deutsche Journalisten mit «der Wissenschaft» umgehen, zumal nach den Erfahrungen mit Corona, als der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nahezu täglich «neue Studien» verlas, deren Trefferquote deutlich unter 50 Prozent lag.

Es brauchte allerdings auch keine Pandemie, um den alten Lehrsatz zu verifizieren: Wissenschaft irrt nach vorn! Fast exakt eintausend Jahre galt der alte Aristoteles-Satz, wonach grosse Steine schneller fallen als kleine, bis Galilei ihn widerlegte. Der Sozialismus galt als «wissenschaftliche Weltanschauung», Alfred Wegeners Entdeckung der «Kontinentaldrift» wurde einhellig verlacht von der wissenschaftlichen Elite seiner Zeit, und als Ignaz Semmelweis herausfand, dass das Kindbettfieber von Ärzten ausgelöst wurde, die sich die Hände nicht gewaschen hatten, hätte man ihn fast für verrückt erklärt.

Und so lieferte die «Maischberger»-Sendung mal wieder einen schönen Beleg dafür, dass auch im deutschen Journalismus mitunter Gefolgschaft höher im Kurs steht als die journalistische Urtugend des Zweifels.

Einsamer Aust. Kluger Aust. Der Klügere muss nicht nachgeben, er muss nur die bittere Zeit überstehen, bis die anderen aufholen.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Einsamer Aust, kluger Aust: Die «Maischberger»-Sendung liefert einen schönen Beleg dafür, dass im deutschen Journalismus Gefolgschaft höher im Kurs steht als die journalistische Urtugend des Zweifels"
  • M.Auserich

    Der deutsche Journalismus taugt von wenige Ausnahmen abgesehen gar nichts. Gleichgeschaltet nach links-grüner Manier. In diesem Punkt ist eine schiefe Analogie zu 1933 angebracht. Klumpfuss Goebbels hätte an einem solchen ideologischen Einheitsbrei seine helle Freude gehabt. Statt braun rotgrün totalitär eingefärbt.

  • fritz müllet

    Rein anektodisch übrigens eib Frauenproblem: Es sind in meinem Umfeld ausschliesslich Frauen, die nicht in der Lage sind, eigene Behauptungen zu hinterfragen

  • Albert Eisenring

    Wenn der Klügere nachgibt heisst dies nicht, zuzustimmen, sondern den Widerstand aufzugeben und eruieren zu wollen, wie der andere zu seiner Ansicht gekommen ist. Wirklich interessiertes Nachfragen stimuliert den anderen ebenfalls dazu, seine Abwehrhaltung aufzugeben und andere Positionen ernsthaft verstehen zu wollen – das funktioniert sogar, wenn es eine andere sein sollte 😉. "Der Klügere gibt nach" schlägt deshalb dem gegenseitigen Rechthabenwollen ein Schnippchen.