Es gibt heute keinen relevanten Faschismus in Deutschland. Das sage nicht ich. Das sagt der Staatsrechtler und frühere Verteidigungsminister der CDU Rupert Scholz. Wir haben uns kürzlich in seiner Villa in Grunewald unterhalten. Das Gespräch finden Sie in dieser Ausgabe.

Als Schweizer zögert man etwas mit den steilen Thesen zu einem wenn auch vertrauten Nachbarland. Deutsche Zeitungen sind seit einiger Zeit voll mit «Nazi»-Diagnosen. Auf den Strassen wird gegen «rechts» protestiert, sogar von der Regierung. Selbst eine NZZ rückt den AfD-Politiker Björn Höcke naserümpfend in die «Nazi»-Ecke.

Rein intuitiv halte ich das alles für grotesk. Und tatsächlich stellen sich die inflationären Unterstellungen, die AfD sei umwittert vom Gifthauch Hitlers, je länger, desto deutlicher als erbärmlicher, die echten Nazis obendrein verharmlosender Unsinn heraus. Anscheinend fällt den Absendern wirklich nichts Besseres mehr ein.

Längst ist das AfD-Bashing, das Draufhauen mit dem Nazi-Hammer, ein politisches Geschäftsmodell, willkommener Gedankenersatz. Die AfD dient Journalisten, Politikern, Intellektuellen, Kirchenleuten als Instrument der moralischen Selbsterhöhung. Jede Gesellschaft, die deutsche besonders, liebt Bösewichter, damit man sich besser fühlt.

Einige der AfD-Gründer kenne ich persönlich. Bei keinem fielen mir totalitäre, diktatorische oder gar nationalsozialistische Neigungen auf. Einer, Alexander Gauland, war damals der hoch angesehene Herausgeber der Märkischen Allgemeinen. Ein anderer, Konrad Adam, ein Gelehrter, schrieb brillante Kolumnen für die Welt.

Dann gab es die Professoren Lucke und Starbatty, der frühere Wirtschaftsverbands-Boss Henkel war dabei, dann kam die Überfliegerin Frauke Petry aus dem Osten, Spitzname «eiserner Schmetterling». Manch einer der Gründer zerschellte mit seinen Ambitionen an einer Partei, die ihre Anarchie gegen starke «Führer» pflegte, das exakte Gegenteil von Hitlers Marschkolonnen.

Die AfD ist ein Phänomen. Anders als bei der Piratenpartei, die von den Medien hochgejubelt wurde, waren die Journalisten von Anfang an gegen die rebellische Opposition von rechts. Man gab sich entsetzt, teilte Häme aus. Als sich die Neuen nicht stoppen liessen, fuhr man das volle Arsenal der Nazi-Keulen auf.

Auch das verfing nicht. Die AfD legt zu, obwohl in Deutschland heute niemand zugeben darf, er sei AfD-Sympathisant. Die «gute Gesellschaft», «die Etablierten», die Medien gefallen sich darin, die Partei und ihre Exponenten auszugrenzen. Man rätselt über den richtigen «Umgang». So, als ob es sich um eine ansteckende Krankheit handelte.

Ansteckend sind allenfalls die programmatischen Ideen der Partei. Die Behauptung, die AfD sei «faschistisch», ist lächerlich, nicht mal einer Widerlegung wert. Die AfD vertritt liberalkonservative Ideen, fordert weniger Zuwanderung und mehr direkte Demokratie. In Bundestags-Debatten teilt sie heftig aus, das gute Recht jeder Opposition.

Deutschland muss aufpassen, dass es im «Umgang» mit der AfD nicht die Demokratie verlernt, die doch gerade erst, vor wenigen Jahrzehnten, erfolgreich aktiviert wurde. Wie der Staat die Repressions-Schrauben anzieht, missliebige Meinungen verfolgt, AfD-Wähler unter Generalverdacht stellt: Das ist beschämend, autoritäres Gehabe.

Dieser Tage muss sich der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke vor Gericht verantworten. Seit Jahren arbeiten die Medien im engen Verbund mit den etablierten Parteien daran, den früheren Geschichtslehrer und Kommunalpolitiker zum politischen Godzilla zu vermonstern. Die Dämonisierung hat längst klinische Dimensionen erreicht.

Nun also steht Höcke in Halle vor Gericht. Sein mutmassliches Kapitalverbrechen: Bei einer Wahlkampf-Veranstaltung benutzte er in einem patriotischen Schluss-Crescendo die Wendung: «Alles für Deutschland.» Offenbar haben diesen Slogan vor neunzig Jahren Nazi-Banden gebrüllt. Seither ist seine Benutzung unter bestimmten Umständen verboten.

Eine nicht repräsentative Umfrage unter mir bekannten Deutschen ergab, dass keinem der Befragten der giftige Zusammenhang bekannt war. Einer erklärte mir, ein deutscher Schriftsteller, Politiker und Napoleon-Gegner aus dem 19. Jahrhundert, Ernst Moritz Arndt, habe den Spruch ebenfalls verwendet. Muss er rückwirkend verurteilt werden?

Bei allem Respekt vor historisch begründeter Wachsamkeit: Hier drohen die Regierungs-Organe der Demokratie-Verteidigung selber zu einer akuten Bedrohung für die Demokratie zu werden. Die Absurdität überschlägt sich: Am Gericht, das den Fall behandelt, prangt der Satz «Jedem das Seine» – wie am KZ-Eingang von Buchenwald. Muss jetzt auch das Gerichtsgebäude vor Gericht?

Auf «Weltwoche daily» habe ich Björn Höcke über eine Stunde lang interviewt, zum Fall in Halle, aber auch generell. Die Zuhörer mögen selber entscheiden, ob das, was er sagt, die massiven Vorwürfe gegen den Oppositionspolitiker rechtfertigt. Ich neige dazu, Höcke beizupflichten: «Das meiste, was über die AfD geschrieben wird, ist Unsinn.»

Haben wir es nicht auch in der Schweiz erlebt? Als die SVP aus dem Mainstream ausscherte, feuerten die Medien aus allen Rohren. Als ich damals als vermutlich erster halbwegs bekannter Journalist aus Konkordanz-Gründen zur Berufung Christoph Blochers in den Bundesrat riet, kündigte mir die halbe Redaktion.

Die Berichterstattung über die AfD in Deutschland ist ein Trauerspiel. Gerüchte, üble Nachrede, primitives Nachgeplapper und historisches Antiwissen mischen sich zur Meinungsbrühe. Merken die Journalisten eigentlich, dass sie mit ihrer ewigen Polemik grosse Teile der deutschen Wählerschaft beleidigen? Arroganz statt Analyse.

Deutschlands Demokratie ist in Gefahr. Aber anders, als ihre angeblichen Verteidiger behaupten. Wenn eine Gesellschaft in gesinnungshomogene Sekten zerfällt, wenn der Humor stirbt, die Selbstironie, wenn Brandmauern errichtet werden und wenn es keine Alternative mehr geben darf, dann wankt und wackelt die Demokratie.

Früher oder später werden sie es merken. Nach dem TV-Duell zwischen Höcke und CDU-Vertreter Mario Voigt notierten die Medien geradezu erstaunt, der AfDler habe sich «entzaubert». Faschistendämmerung? Allmählich scheinen sogar die Journalisten an den Feindbildern zu zweifeln, die sie jahrelang herbeigepinselt haben.

Die 3 Top-Kommentare zu "Faschistendämmerung? Nach dem TV-Duell zwischen Höcke und CDU-Vertreter Mario Voigt notierten die Medien geradezu erstaunt, der AfDler habe sich «entzaubert». Allmählich scheinen sogar die Journalisten an den Feindbildern zu zweifeln, die sie jahrelang herbeigepinselt haben"
  • Franz Böni

    Interessant ist, dass das Interview Höcke - Voigt nur noch in Teilen zu finden ist. Offensichtlich war Höcke für die woken rot grünen zu überzeugend.

  • vr10

    Sehr gut geschrieben und auch gut kommentiert Herr Roger Köppel. Ich lese und Höre ihre Kommentare jeden Tag und sie sind für mich persönlich ein Journalist der ehrlich und unparteiisch schreibt und spricht. Die Grüne Partei die viele Farben haben (SPD CDU CSU & LINKE) sind die Parteien die der Demokratie schaden und angefangen haben zu schaden. Ich als Ostdeutscher habe Demokratie verstanden wie die meisten Ostdeutsche. Grundgesetz und Demokrati muss wieder hergestellt werden (AfD)

  • Mad Maxl

    "Allmählich scheinen sogar die Journalisten an den Feindbildern zu zweifeln, die sie jahrelang herbeigepinselt haben" - Ja, dem ist so! Das TV-Duell hatte für viele die es gesehen haben einen klaren Sieger u. der heißt Höcke/AfD. Auch wenn das vom Sender (Welt) u. den beiden "schlechten" Moderatoren nicht so gewollt war. Die ersten ca. 20 Min. der Diskussionsrunde waren ok. danach haben beide Moderatoren das Ganze gecrasht weil sie eine Hinrichtung Höckes bzw. der AfD wollten. D Medein? Meiden!