Deutschland scheint, wieder einmal, im Gejammer zu versinken. Überall, wo ich hinkomme, beschweren sich die Deutschen über Deutschland, über die Politik vor allem, die Medien, die Parteien, die Regierung, die Zuwanderung, die trüben Aussichten der Wirtschaft. Viele reden übers Auswandern, wenn sie nicht schon ausgewandert sind. Schwarzmalen ist der neue Volkssport.

In die Abgesänge mag ich nicht einstimmen. Ich kann das Unbehagen zwar nachvollziehen, viele Probleme sind offensichtlich. Trotzdem glaube ich an Deutschland. Das aktuelle -Malaise mag schmerzen. Ich will es nicht verniedlichen. Aber Länder, Staaten – vor allem nach Zeiten des Erfolgs – brauchen Krisen, um sich wieder selbst zu finden. Kein Grund zur Verzweiflung.

Beginnen wir mit der Migration. Ja, Deutschland hat die Tore geöffnet. Es kommen zu viele, und es kommen die Falschen. Die Durchhalte- und Beschwichtigungsparolen der Politik verfangen nicht mehr. In den Zeitungen häufen sich die Meldungen über Ausländerkriminalität. In manchen Städten Deutschlands ziehen Islamisten mit ihren Bannern durch die Strassen.

Gewiss, die Massenzuwanderung ist die Mutter vieler Übel: Kriminalität, Wohnungsnot, Plünderung des Sozialstaats, Verwahrlosung des öffentlichen Raums, Überforderung der Schulen. Aber gleichzeitig bringt Migration eine ganze Lawine von Lebenslügen ins Rutschen. Endlich müssen die Deutschen, ihre Politiker und Medien, dieses Thema ernst nehmen.

Der Ruf nach Begrenzung und strengeren Kontrollen wird lauter, ist inzwischen Mainstream. Noch vor zehn Jahren war man in deutschen Talkshows der Aussenseiter, wenn man über die Kehrseiten der Zuwanderung sprach. Viele deutsche Politiker hatten das Thema erkannt, aber redeten nicht darüber, weil man als Deutscher «weltoffen», «ausländerfreundlich» zu sein hatte, scheinen wollte.

Und vergessen wir nicht: Die Pro-Kopf-Zuwanderung nach Deutschland ist heute höher als früher, aber sie ist deutlich tiefer als etwa die Pro-Kopf-Zuwanderung in die Schweiz. Es ist doch überhaupt nicht zu spät, hier endlich Gegensteuer zu geben. Deutschland wird an der Zuwanderung nicht zugrunde gehen. Auch die Zuwanderung wirkt als Augenöffner. Eine Frage des Masses.

Kommen wir zur Wirtschaft. Muss Deutschland pleitegehen, bevor sich etwas ändert? Vielleicht, aber ich glaube nicht, dass es die -Deutschen so weit kommen lassen. Erinnern wir uns an das Jahr 2003? Schon damals galt Deutschland als «kranker Mann Europas». Die Zahlen zeigten schroff nach unten. Dann kamen Kanzler Gerhard Schröders Reformen der «Agenda 2010».

Diese mutigen Massnahmen kann man rückwirkend nicht genug würdigen. Schröder handelte gegen seine Partei, gegen seine Wiederwahl, aber staatsmännisch handelte er für Deutschland, befreite den Arbeitsmarkt von gewissen Fesseln und machte die Arbeitslosigkeit weniger attraktiv. Nachfolgerin Merkel profitierte von Schröders Politik und machte sie wieder rückgängig. Mit den bekannten Folgen.

Nichts, was die Deutschen heute drückt, haben sie sich nicht selber eingebrockt. Anders formuliert: Die Deutschen können ihre Probleme selber wieder lösen. Deutschland mag, anders als die Schweiz, stärker eingespannt sein in ein Netz von Abhängigkeiten und Bündnissen. Es gibt viele Fesseln durch die EU, aber auch hier gilt: Mit der Not wächst die Einsicht.

Das ewige Gejammer wirkt weltfremd. Die Deutschen haben schon weit grössere Probleme verursacht und überstanden. Vielen Deutschen gefällt die Schweiz. Gut. Es ist ja nicht verboten, sich von der Schweiz inspirieren zu lassen. Das hiesse dann aber wohl: mehr Schweiz wagen, mehr direkte Demokratie, weniger Staat, mehr Neutralität. Mal sehen.

Noch ein Wort zu den Parteien. Auch hier steckt viel Stress im System. Das mag alles seine Gründe haben. Ich sehe es von aussen: Die neuen Parteien sind eine Bereicherung. Es gäbe sie nicht, würden die anderen alles richtigmachen. Sie bringen mehr Vielfalt. Und Streit. Davon lebt die Demokratie. Demokratie ist nicht Konsens. Demokratie ist ständiges Ringen, Auseinandersetzung.

Ich bilde mir ein, auch hier gebe es Fortschritte. Die einst gefeierten Grünen werden entzaubert. Zum eigenen Vorteil. Illusionen und Flausen verfliegen. Die deutsche Umweltschutzpartei wird sich normalisieren, wirtschaftsfreundlicher werden müssen. Das gilt auch für die SPD, bei der ausser dem übervorsichtigen Kanzler ideologische Traumtänzer am Werk scheinen.

Auf der bürgerlichen Seite mischt die AfD die FDP und die CDU auf. CDU-Chef Merz taktiert behutsam, viele Messer sind auf ihn gerichtet. Die deutsche Öffentlichkeit ist ein Haifischteich. Ein falsches Wort kann das Ende von Karrieren bedeuten. Mich dünkt, nach anfänglichen Zweifeln, Merz mache es nicht so schlecht. Ist er der nächste Kanzler? Die Chancen scheinen intakt.

Die Ausgrenzung und Verteufelung der AfD funktioniert nicht. Parteien, die einem nicht passen, soll man widerlegen, nicht verbieten. Man wird die aufstrebende Opposition früher oder später einbinden müssen. Dank der AfD werden FDP und CDU bürgerlicher, konservativer, weniger links und profilierter. Solange sich die Rechten untereinander bekämpfen, jubelt nur die Linke.

Von aussen betrachtet, fehlen Deutschland Politiker, die motivieren, Zuversicht verbreiten können. In Berlin regiert bleierne Trübsal. Kein Wunder, wandern so viele Deutsche aus. Aber das ist nicht der Weg. Deutschland können nur die Deutschen wirklich gefährlich werden – wenn sie sich abwenden, davonlaufen, die Politik ausschliesslich den Politikern überlassen.

Es gibt keine unlösbaren Probleme. Deutschland ist das derzeit interessanteste Land der Welt. Die Politik ist faszinierend: Wo stehen die Deutschen zwischen Ost und West? Wie geht es nach dem Brexit mit der EU weiter? Wie schafft es Deutschland, ein neues Wirtschaftswunder zu entfesseln wie einst nach dem Krieg? Was sind deutsche Interessen in einer vielfältiger werdenden Welt?

Ich kenne kein Land mit einem grösseren Potenzial. Noch fehlen der Politik die Antworten. Deutschland hätte alles, was es braucht. Die eigene Geschichte von Triumph und Niederlage ist ein Vorteil, keine Hypothek. Die Deutschen sind bodenständige, vernünftige Leute. Die aktuelle Krise, das Unbehagen ist eine Chance. Ich glaube an Deutschland.

Die 3 Top-Kommentare zu "Ich glaube an Deutschland"
  • andreas.portmann

    Köppel ist halt ein Berufsoptimist. Ich sehe mich als Realist. Und die globale Agenda 2030 ist für mich eine Realität und DE mischt da unter dem Diktat ihres verbliebenen Besatzers zuvorderst mit.

  • Frances

    Nach der verfehlten Wirtschaftspolitik der Ampel wird es für die deutschen Unternehmen diesmal viel schwieriger sein, wieder konkurrenzfähig zu werden, da die asiatischen Länder mächtig aufgeholt haben und heute in Vielem führend sind.

  • klaweb52

    Freilich ist die Zuwanderung in die Schweiz pro Kopf höher als in DE, allerdings ist die Herkunft, Kultur und (Aus-)Bildung der Zugewanderten gravierend anders und insofern sind die Zahlen nicht zu vergleichen.