Stefan Zweig war einer der beliebtesten britisch-österreichischen Schriftsteller. Er lebte von 1880 bis 1942. Kurz vor seinem Tod verfasste er «Die Welt von Gestern», Erinnerungen an die untergegangene europäische Welt vor dem Ersten Weltkrieg. Seine Beobachtungen über die ersten Kriegswochen im August 1914 sind heute wieder von beklemmender Aktualität:

«Die Märchen von den ausgestochenen Augen und abgeschnittenen Händen, die prompt in jedem Kriege am dritten oder vierten Tage einsetzen, füllten die Zeitungen. Ach, sie wussten nicht, diese Ahnungslosen, welche solche Lügen weitertrugen, dass die Technik, den feindlichen Soldaten jeder denkbaren Grausamkeit zu beschuldigen, ebenso zum Kriegsmaterial gehört wie Munition und Flugzeuge, und dass sie regelmässig in jedem Kriege gleich in den ersten Tagen aus den Magazinen geholt wird. Krieg lässt sich mit Vernunft und gerechtem Gefühl nicht koordinieren.»

«Shakespeare wurde von den deutschen Bühnen verbannt, Mozart und Wagner aus den französischen, den englischen Musiksälen, die deutschen Professoren erklärten, Dante sei ein Germane, die französischen, Beethoven sei ein Belgier gewesen, bedenkenlos requirierte man geistiges Kulturgut aus den feindlichen Ländern wie Getreide und Erz.»

«Nach einigen Wochen übersiedelte ich, entschlossen, dieser gefährlichen Massenpsychose auszuweichen, in einen ländlichen Vorort, um mitten im Kriege meinen persönlichen Krieg zu beginnen: den Kampf gegen den Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft.»

 

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers – Das goldene Zeitalter der Sicherheit. Literatur- und Wissenschaftsverlag. Fr. 13.90