Ohne Zweifel: Auch die diesjährige Buchmesse in Leipzig, die sich weniger elitär gibt als ihr Pendant in Frankfurt, war ein grandioses Spektakel. Als Besucher aus dem Heidiland ist man von der schieren Grösse überwältigt.

Fünf immense Hallen mit Ausstellungsständen und ein Glaspalast für diverse Darbietungen von Radio und Fernsehen nehmen über 111.000 Quadratmeter Platz in Anspruch, weitere 70.000 Quadratmeter Aussenfläche kommen dazu.

In diesem Jahr präsentierten 2000 Aussteller aus vierzig Ländern ihre Neuerscheinungen, teils anhand von Hunderten Lesungen und Gesprächen. Schon am ersten Tag ist man der zurückgelegten Wegstrecken wegen müde wie nach einem Marathon.

Es braucht auch eine gewisse Vorbereitungszeit, damit man sich aus dem überwältigenden und vielfältigen Angebot das herauspickt, was am meisten interessiert.

Den Schweizer Stand in Halle 5 konnte man kaum übersehen, präsentierte er sich doch ganz traditionell im Chaletstil mit Beflaggung. Ebenfalls typisch Schweiz war die etwas holprige Vorstellung der jungen Autorin Regula Portillo, die aus ihrem Buch «Wendeschleife» las. Peinlicher war dagegen das Schild mit der farbigen Aufschrift «AFD-Kacké» über einem Stand des ebenfalls aus der Schweiz stammenden Kaktus-Verlags. Solche Aktionen liefen wohl unter dem Titel Meinungsfreiheit.

Natürlich bewegte sich auch viel Prominenz aus Politik und Unterhaltungsindustrie – flankiert von mehr oder weniger Sicherheitspersonal – frei auf dem Areal. ARD, ZDF und 3sat interviewten in der imposanten Glashalle spannende Autoren und deutsche Filmstars, die ihre Neuerscheinungen präsentieren durften – wie zum Beispiel Uschi Glas, die trotzig ins Mikrofon flötete, warum sie nicht das Schätzchen ist, als das man sie immer dargestellt hat. Und dabei vermied sie tunlichst, das Wort Negerlein noch einmal in den Mund zu nehmen und sprach stattdessen politisch korrekt vom N-Wort – um ja keinen weiteren Shitstorm heraufzubeschwören.

Auf Tuchfühlung mit dem Publikum gingen auch die Schauspieler Katja Riemann oder Sky du Mont. Letzterer beklagte sich im Gespräch darüber, dass man ihn immer noch bloss als Schauspieler («Der Schuh des Manitu») wahrnehme – obschon er bisher schon acht Bücher geschrieben habe.

Gewöhnungsbedürftig war dagegen, dass einem ständig sogenannte Cosplayer über den Weg liefen. Das sind Personen, die sich wie ihre Vorbilder aus Manga, Anime, Filmen und Videospielen verkleiden und versuchen, diese so gut wie möglich zu imitieren. So bewegen sich Elfen, Zauberer, Kämpfer und sogar Schneewittchen, versunken in ihre Parallelwelten, mystisch und mit versteinerten Mienen übers Gelände. Die Buchmesse widmete diesem Trend zwei Hallen, wohl auch um ein jüngeres Publikum in die Buchmesse zu locken. Und siehe da: Die Zahl der Eintritte gab den Organisatoren recht, insgesamt 283.000 Besucher bedeuten einen neuen Rekord.

Natürlich gibt es auch Preise: In der Sparte Belletristik wurde die gebürtige Serbin Barbi Markovic, die in Wien lebt, ausgezeichnet. In der Übersetzungs-Kategorie gewann Ki-Hyang Lee. Sie übersetzte «Der Fluch des Hasen» von Bora Chung aus dem Koreanischen.

In der Wertung Sachbuch/Essayistik wurde der Berliner Kunsthistoriker Tom Holert geehrt. Sein Buch «‹ca. 1972› Gewalt – Umwelt – Identität – Methode» stellt die Zeit nach der revolutionären Euphorie von 1968 in den Mittelpunkt.

Das Fazit nach vier Tagen Buchmesse: Sie war ein guter Gradmesser für die Situation in Deutschland. Auf dem Hinflug blieb das Gepäck bei Lufthansa in München liegen, pünktlich zum Messebeginn kündigten die Tramfahrer einen Streik an, die AfD wird als «kacke» beschimpft, Uschi Glas will nicht mehr Schätzchen sein, die Jugend steckt im Manga-Rausch, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach einem Blitzbesuch beim Suhrkamp-Verlag-Stand mit seiner Leibgarde an der Bar des Steigenberger-Hotels zum Apéro schritt.

Die 3 Top-Kommentare zu "Manga, Streik und «Kack»-AfD: Die Buchmesse Leipzig funktioniert wie ein Fieberthermometer für Deutschland. Ein Stimmungsbericht aus Schweizer Optik"
  • miriamR

    Das steht auf der Homepage der Leipziger Messe:„Für die Freiheit des Wortes, für Diversität und über alle Grenzen hinweg: Die Leipziger Buchmesse bietet aktuell wichtigen Debatten mit dem Forum Offene Gesellschaft zum zweiten Mal in Folge eine eigene Bühne...“ Was darf Satire?

  • holgerw

    Die sind alle von Schiller verlassen

  • pit ralon

    Wo solche Schilder angebracht werden und auch hängenbleiben dürfen, kann man mit einiger Berechtigung von einem Scheiß-Niveau des "grandiosen Spektakels" reden.