Die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato sei «keine Provokation» für Russland: Das sagt Gordon Davis, der bis vor einem Jahr in der Schaltzentrale der Nato das Dossier Verteidigungsstrategie mitverantwortet hat.

Für Kritik an der bevorstehenden Nato-Erweiterung hat er kein Verständnis. Niemand habe das Recht, den Schweden und den Finnen zu verbieten, Bündnissen beizutreten. Dass Putin die Norderweiterung der Nato als Provokation empfinde, könne er nicht nachvollziehen, sagt Davis. «Die Nato hat nie ein anderes Land angegriffen.»

Sie gebe den Mitgliedern lediglich Sicherheit, dass sie im Falle einer Aggression auf Unterstützung der Bündnisstaaten zählen könnten. Davis: «Die Nato will nicht Gebiete hinzugewinnen, sondern in Europa für Frieden und Stabilität sorgen.»

Wenn Putin anderes behaupte, propagiere er ein frei erfundenes Geschichtsbild, «indem er der Nato bösen Willen und Aggressionsbereitschaft unterstellt».

Die vermutlich bevorstehende Mitgliedschaft der beiden skandinavischen Staaten sei «sicherlich keine Bedrohung für das russische Volk». Es liege jetzt an Putin, zu erkennen, dass er von der Nato nichts zu fürchten habe.

Es könne aber «einige Zeit dauern, bis er das versteht», räumt Davis ein.

Wahrscheinlich sei Putin davon ausgegangen, dass er mit einer Neuauflage des «Blitzkriegs» schnelle Erfolge erzielen würde, so Davis. Doch er habe sich geirrt. Die ukrainische Armee sei taktisch kompetent und könne gut dezentralisiert operieren.

Dass die Truppen gut ausgebildet und gut ausgerüstet seien, führt Davis auch auf die Hilfe der Nato zurück. Ukrainische Offiziere werden seit Jahren nach Nato-Standards ausgebildet und kämpfen mit Methoden des 21. Jahrhunderts gegen die russische Armee, die im 20. Jahrhundert stehen geblieben ist.

Auf mehreren Gebieten sei der Westen der Ukraine beigestanden. So habe er Finanzmittel für Reformen der Verteidigung und der Rüstungsindustrie, die militärische Ausbildung, die Verbesserung der Befehls- und Kontrollstrukturen sowie der Cybersicherheit überwiesen.

Junge Offiziere und Unteroffiziere würden in multinationalen Zentren jetzt selbständiges Denken lernen: «Das war zu Zeiten der sowjetischen Armee völlig unbekannt und wird in der russischen Armee immer noch nicht praktiziert.»

Die Nato sei auch direkt an der Reform der ukrainischen Rüstungsindustrie beteiligt gewesen, an der er unmittelbar mitgewirkt habe, sagt Davis. Der ukrainische Staatskonzern und die Privatwirtschaft würden heute «den grössten Teil des Bedarfs der ukrainischen Armee» herstellen und viele Produkte, darunter gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeuge, Drohnen, Waffen und Ausrüstung, ins Ausland verkaufen.

Die Kandidatur der beiden skandinavischen Länder sei sowohl symbolisch als auch militärisch «bedeutsam». Symbolisch, weil zwei neutrale Staaten, die sich während des Kalten Krieges dank ihrer Neutralität sicher gefühlt hätten, sich nun von Russland bedroht sähen und deshalb der Nato beitreten wollten.

Dies zeige deutlich, wie stark Putin den Norden Europas destabilisiert habe. Der Beitritt sei aber auch militärisch bedeutsam und relevant: Die beiden nordischen Kandidaten würden aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrer Verteidigungsfähigkeiten und ihres hohen Masses an Interoperabilität zur Sicherheit des Bündnisses beitragen.