Auch die EU verfügt über eine Jahresrechnung inklusive Bilanz. Letztere müsste eigentlich als Grundlage zur Beurteilung der Schuldnerbonität dienen. Während private Schuldner quartalsweise ihre Geschäftszahlen offenlegen müssen, damit man auch während des Jahres rechtzeitig eine allfällige Verschlechterung ihrer Solvenz feststellen kann, scheint dies für politische Gebilde nicht nötig zu sein.

Mit der Begründung «Corona-Pandemie» hat die EU ein neues gigantisches Umverteilungsprogramm auf Pump gestartet. Entgegen den ursprünglichen Abmachungen werden nun doch EU-Gemeinschaftsschulden am Kapitalmarkt platziert. Die Haftungs- und Schuldenunion ist über die Köpfe der EU-Bürgerinnen und Bürger hinweg Tatsache geworden.

Dieser neue Schuldenberg von anfänglich 750 Milliarden Euro soll in einer Kadenz von 150 Milliarden pro Halbjahr aufgebaut werden. 450 Milliarden dieser Gelder werden als «Geschenk», ohne Rückzahlungsverpflichtung, an EU-Länder weitergeleitet. Dafür müssten alle EU-Länder geradestehen und eine entsprechende Rückstellung in ihren Staatsrechnungen tätigen. Dazu kommen weitere Kreditaufnahmen in Höhe von 540 Milliarden für die Finanzierung von Kurzarbeit, Gesundheitsprogrammen und KMU-Hilfen.

Schon die Ausgangsbilanz per Ende 2021 zeigt, dass die EU eigentlich überschuldet ist, denn die Passiven übersteigen die Aktiven um 83 Milliarden Euro. Für diesen Fehlbetrag müssten die EU-Länder aufkommen. Aber in den Bilanzen der einzelnen Ländern sind keine solchen Verpflichtungen aufgeführt. Statt diese offene Rechnung zu begleichen, werden viele EU-Länder im laufenden und in den kommenden Jahren weitere Milliarden aus dem EU-Topf beziehen.

Für gemeinsame EU-Schulden haften alle EU-Mitgliedsländer solidarisch. Aber was sind schon Garantien von Ländern wert, die selbst metertief im Schuldensumpf stecken? In den Europäischen Verträgen (Artikel 311 AEUV) hatten die EU-Staaten vereinbart, dass der EU-Haushalt «vollständig aus Eigenmitteln» finanziert werden muss. Das bereits bestehende Finanzloch und die vorgesehenen neuen Schulden gehören zweifelsfrei nicht zu «Eigenmitteln», sondern sind Fremdkapital.

Schon während der Subprime-Hypothekenkrise in den USA glaubten die Rating-Agenturen, dass eine Bündelung von minderwertigen Schuldnern zu einer Bonitätsverbesserung führe, weil ja wohl nicht alle schlechten Schuldner gleichzeitig bankrottgehen würden. Sie versuchen diesen Zaubertrick erneut, um den EU-Regierungen eine Geldbeschaffung zu günstigen Konditionen zu ermöglichen. Sie sind ja schliesslich auch auf die Zulassungsbewilligungen dieser Regierungen angewiesen.

Die Rating Agenturen bewerten die Anleihen der EU-Gemeinschaftsschulden mit AAA (Fitch, Moody’s, Scope, DBRS) bis AA+ (Standard & Poor’s). Offensichtlich stützen sie sich dabei nicht auf die Bilanzzahlen ab, sondern vertrauen darauf, dass die Mitgliedsländer eines Tages für die Fehlbeträge geradestehen werden. Aber kann man Leuten trauen, die Verträge nicht einhalten? Oder bedeutet AAA im Falle von EU-Anleihen im Klartext vielleicht eher «Abwerten, Abschreiben, Ausbuchen»?