Wenn sich ein Fernsehsender von seinem Star trennt, sind Schlagzeilen garantiert. Wenn es sich bei dem Sender um Fox News handelt, den populärsten TV-Kanal in den USA, und wenn der geschasste News-Anchor Tucker Carlson heisst, der Rekordeinschaltquoten von über drei Millionen Zuschauern generiert, dann dreht die Spekulationsorgel wild.

Die Gründe für Carlsons Abgang sind bis dato nicht bekannt. Was dominiert, sind Jubel und Schadenfreude beim Gros der Massenmedien. Carlson sei ein «weisser Rassist», ein Frauenfeind, ein Hasardeur, der Verschwörungstheoretikern Plattform geboten und Falschmeldungen verbreitet habe, ist zu lesen.

Was die Negativberichterstattung weitgehend ausblendet, ist, dass sich Tucker Carlson schwer schubladisieren lässt. Selbst das rechte Lager stösst er regelmässig vor den Kopf. Einst bei den Neocons angesiedelt, hat sich Carlson längst zum Interventionsgegner gehäutet. Nach Putins Angriff auf die Ukraine komme «Tucker Carlson Tonight» daher wie «Russia Today», monieren Kritiker. Unbestritten ist, dass Carlson unangenehme Fragen stellt, die vom Mainstream ausgeblendet werden. Zum Beispiel, was die USA im Stellvertreterkrieg gegen eine Atommacht zu gewinnen hätten? Oder ob der Westen nicht selbst mitverantwortlich sei an diesem Krieg?

«Coming-out» in der Weltwoche

Damit tönt er wie ein Echo von Donald Trump. Obwohl er sich nie als dessen Cheerleader einspannen liess, ging man lange davon aus, dass Carlsons Herz für Trump schlägt. Doch dann liess er die Katze aus dem Sack. Er wählte ein ausländisches Medium für sein «Coming-out»: die Weltwoche. Als wir Carlson nach zwei Jahren Amtszeit von Trump in seinem Büro fragten, was er von Trump halte, rechnete er gnadenlos mit dem US-Präsidenten ab.

Das Interview schlug in den USA hohe Wellen. «Tucker Carlson sagt, Trump sei ‹unfähig› und habe seine Versprechen nicht gehalten», zitierte die Washington Post die Weltwoche. «Carlson sagte, er könne Trumps Selbstverherrlichung und Angeberei nicht ausstehen.»

Er mag Trump «leidenschaftlich hassen», wie in Carlsons E-Mails zu lesen war, aber bei Trumps Anhängern steht er hoch im Kurs. Carlson verkörpert einen «Trumpismus ohne Trump», der dem konservativen heartland eine Stimme verleiht, die Elite der republikanischen Partei anzieht und neue Wähler rekrutiert. Kurzum: Kein anderer Journalist prägt das konservative Lager stärker als Tucker Carlson.

Wenig erstaunlich, dass Spekulationen kursieren, Carlson hege selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt. In einem weiteren Interview mit der Weltwoche dementierte er 2021: «Nein. Ich bin kein Politiker … Ich bin ein Talkshow-Moderator. Ich werde Talkshows machen.»

Das wird er voraussichtlich weiter tun. Gemäss gutinformierten Quellen soll Carlson mit Newsmax, dem konservativen Konkurrenten von Fox, Gespräche geführt haben. Seine Feinde dürften zu früh frohlocken, wenn sie denken, Carlsons Stimme sei nun verstummt.