Botschafterin Nadine Olivieri Lozano steht derzeit im Zentrum der Kritik: Der Leiterin der Schweizer Botschaft in Teheran wird von Politikern im In- und Ausland vorgeworfen, dass sie bei einem Besuch in der religiösen Pilgerstadt Ghom, einer der wichtigsten Stätten der Islamischen Republik und Zentrum der schiitischen Lehre, den traditionellen Tschador trug.

Vorgehalten wird ihr zudem der Zeitpunkt der Reise nach Ghom.

Weil in den letzten Monaten bei Demonstrationen gegen den Hidschab-Zwang landesweit mehr als 500 Menschen getötet und unzählige verletzt wurden, stehe der Besuch der Schweizer Botschafterin in Ghom im Widerspruch zur weltweiten Unterstützung der Proteste. Sie waren nach dem Tod von Mahsa Amini ausgelöst worden, die von der iranischen Sittenpolizei wegen ihres «unangemessenen Tragens» ihres Hidschabs festgenommen worden war und die Polizeihaft nicht überlebte.

Dass die Spitzendiplomatin aus Respekt vor der Religion einen Tschador trug, versteht sich eigentlich von selbst (obwohl sie als ausländische Würdenträgerin statt des Tschadors ein langes Kopftuch tragen dürfte).

Die Kritik richtet sich aber vor allem gegen den Zeitpunkt der Visite: Wer der Botschafterin ein schlechtes Timing vorwirft, blendet aus, dass in der Islamischen Republik nicht nur jetzt, sondern routinemässig und systematisch mit Gewalt gegen die Bürger vorgegangen wird, die sich nicht an die strengen Vorschriften des Regimes halten.

Mehr als das: Wer jetzt den Besuch in Ghom, den Tschador und das Treffen mit Regime-Geistlichen als Provokation verurteilt, verniedlicht die jahrzehntealte Brutalität der iranischen Sicherheitskräfte.