Saudi-Arabien ist zwar der weltweit grösste Erdölexporteur, in dessen Boden noch unermessliche Ölreserven schlummern – und doch: Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) will bis zum Jahr 2060 mehr als 180 Milliarden Dollar in alternative Energieanlagen investieren und das Königreich, das zu den grössten CO2-Emittenten gehört, in Richtung Klimaneutralität lenken. Bis 2030 soll in einer ersten Etappe die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen.

MBS, der auf die Rolle von Öl und Gas nicht ganz verzichten will, sieht sich als Vorreiter bei der Energiewende.In Saudi-Arabien spricht man zwar seit den 1970er Jahren davon, das Land aus der Ölabhängigkeit zu befreien. Aber die Pläne, die dazu vorgelegt wurden, blieben stets auf dem Papier, sagt Neil Quilliam, Direktor für Energie bei der Denkfabrik SRMG Think, wo er sich auf den Mittleren Osten und Nordafrika spezialisiert hat. Als zum Beispiel vor fünfzehn Jahren die grösste saudische Holdinggesellschaft für Anlagen zur Stromerzeugung die Idee lancierte, einen Teil der Energieversorgung Saudi-Arabiens mit erneuerbaren Energien zu decken, wurde sie von den staatlichen Energieversorgern nicht ernst genommen. Deren Manager belehrten den Stromproduzenten, dass er Öl «zu einem sehr wettbewerbsfähigen Preis» erhalte, so dass er Strom weitaus billiger produzieren könne als mit Solarstromanlagen.

Diese «Öl-ist-Nummer-eins-Ressource»-Strategie dominierte bis in die späten 2010er Jahre. Das änderte sich mit der Ernennung von MBS zum Kronprinzen im Jahr 2017. Bis Ende 2023, hatten sich die Energiestrategen nämlich vorgenommen, sollten 9,5 Gigawatt Leistung mit sogenannt alternativen Energien erzeugt werden. Doch das Resultat ist ernüchternd. Derzeit steuern Solar und Wind lediglich 700 Megawatt zur Stromversorgung bei, also 0,7 Gigawatt.

 

Wasserstoffgigant

Mit der «Vision 2030» von MBS, dem De-facto-Herrscher im Königreich, gehe es jetzt aber endlich vorwärts, sagt Quilliam. Derzeit seien dreizehn Grossprojekte im Bau. Wenn sie fertiggestellt sind, werden sie zusammen elf Gigawatt produzieren, also mehr, als für dieses Jahr geplant war. Neom, das als «futuristisches Megaprojekt im Nordwesten Saudi-Arabiens» vermarktet wird, bereitet zusammen mit einem Stromgiganten die Entwicklung einer Anlage für grünen Wasserstoff vor, die mit Sonnen- und Windenergie betrieben wird. Sie soll 660 Tonnen grünen Wasserstoff pro Tag produzieren, was der gesamten heutigen Weltjahresproduktion entspricht.

Bis in sieben Jahren müsste der Beitrag der alternativen Energieformen laut Plan auf 58 Gigawatt gesteigert werden. Das sei eine «grosse Herausforderung», meint Energiespezialist Quilliam. Saudi-Arabien verfügt über mehrere Vorteile bei der Realisierung der teuren Projekte. Weil es Milliarden in Gigaprojekte steckt, droht für die nächsten Jahre zwar ein Budgetdefizit. Aber der Staatshaushalt hängt weiterhin von den Petrodollars ab, die etwa 90 ​Prozent der Einnahmen des Königreichs ausmachen. Das Königreich muss deshalb keine Finanzierungsprobleme befürchten, solange der Ölpreis hoch bleibt.

Bei Wind- und Solarenergieanlagen haben die Saudis einen weiteren Vorteil: Ihr Land zählt, wie beim Erdöl, zu den billigsten Orten auf der Welt, um alternative Energien zu erzeugen. «Sie haben einfach Unmengen an leerem Land, das vom Staat kontrolliert wird und zudem in der Nähe von Städten liegt», lässt sich Jim Krane zitieren, der Energieexperte für die Golfregion am Baker Institute for Public Policy der Rice University.

Eine andere Frage sei, wer diese Projekte betreiben werde, sagt Quilliam: «Noch gibt es zu wenig Arbeitskräfte und Spezialisten auf dem Gebiet der grünen Energie.» Die Ölindustrie, vor allem der Grosskonzern Aramco, sei zwar eine hocheffiziente Organisation mit zahlreichen Energiefachkräften. «Aber erneuerbare Energien sind neue Wachstumsbereiche.» Es könne deshalb «eine oder zwei Generationen» dauern, bis dieses neue Energiesystem von genügend vielen Spezialisten verstanden und durchschaut werde. Saudi-Arabien werde deshalb in einer ersten Phase auf ausländische Arbeitskräfte und externes Fachwissen angewiesen sein. Angesichts der demografischen Dividende, die eine so junge Bevölkerung mit sich bringt, gebe es indessen längerfristig genügend Spielraum für den Aufbau einheimischer Fachkräfte, sagt Quilliam.

 

Konsum wird gedrosselt

MBS verändert nicht nur den Energiemix. Mit einer aufs Sparen ausgerichteten Preispolitik drosselt er den Energiekonsum. In den Jahren 2017 und 2018 hat er Tarifreformen durchgeführt. Zuvor hatte es das Königreich aus Angst vor sozialen Unruhen nicht gewagt, die Energiepreise zu erhöhen, weil es das für «zu riskant» hielt. MBS, der junge starke Mann im Staat, liess sich von möglichen Widerständen in der Gesellschaft nicht beeindrucken und hob die Tarife an, die zur Verschwendung angestiftet hatten. Wobei die Preise allerdings weiterhin weit unter den internationalen Benchmarks liegen.

Riads Klimaneutralitätsstrategie setzt zudem auf «Carbon Capture and Storage» (CCS), also das Absorbieren oder Abscheiden und Binden von CO2, obwohl es dafür, zumindest bisher, keine überzeugenden wirtschaftlichen Lösungen gibt. Der saudi-arabische Energieminister hat im November 2022 «das grösste geplante Zentrum für Kohlenstoffabscheidung und -speicherung der Welt» bekannt gegeben. Für das will das Land bis 2027 eine Kapazität von neun Millionen Tonnen pro Jahr anbieten, die bis 2035 auf 44 Millionen steigen soll. CO2 würde in leeren Ölreservoirs versenkt und entsorgt werden.

Erneuerbare Energien, Sparanreize und der politische Wille, CO2-Emissionen zu reduzieren, würden jedoch nicht ausreichen, um die energiepolitischen Ziele des Königreichs zu erreichen. Ohne Atomenergie könne Saudi-Arabien nicht klimaneutral werden, ist MBS überzeugt. In der Vision 2030 werde sie deshalb «als eine wichtige Quelle zur Unterstützung von Stabilität und nachhaltigem Wachstum betrachtet», heisst es in Riad. Das Königreich arbeite intensiv an der Entwicklung der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Nach einer «umfassenden technischen und wirtschaftlichen Analyse» wurde die Entscheidung getroffen, «atomare und erneuerbare Energien für einen bedeutenden Teil des zukünftigen Energiemixes Saudi-Arabiens einzuführen».

 

Kernenergie wird dringlich

Am Rohstoff wird es dem Wüstenreich nicht fehlen: Es verfügt über reichlich Uranvorräte. Zudem, rechnen Energieexperten in Riad vor, dränge die Nutzung der Kernkraft. Der Spitzenenergiebedarf in Saudi-Arabien werde bei der derzeitigen Wachstumsrate bis 2030 voraussichtlich 120 Gigawatt Leistung überschreiten, so dass bei der derzeitigen Energieversorgung ein Defizit von sechzig Gigawatt entstehen würde. Zudem wird die Kernenergie auch bei der Entsalzung von Meerwasser eine wichtige Rolle spielen. Die Wassernachfrage könnte bis 2030 auf sieben Millionen Kubikmeter pro Tag steigen – drei Millionen mehr als die derzeitige Kapazität.

Saudi-Arabien sei schon seit Jahren an der Atomenergie interessiert, sagt Quilliam. Im Februar 2022 bestätigte Saudi-Arabien die Gründung der Nuclear Holding Company, die als Nuklearentwickler des Landes fungieren wird. Die Gründung der Gesellschaft war ursprünglich 2013 angekündigt worden.

Es ging dabei von Anfang an darum, die Ressourcen aus ökonomischen Gründen zu schonen. «Wenn die Saudis das Projekt jetzt weiterverfolgen, passt es immer noch zur Idee, die Wirtschaft zu diversifizieren und die Verwendung von Kohlenwasserstoffen für die Stromerzeugung im Königreich zu verdrängen», meint Quilliam. Für Riad sei die Kernenergie ein Mittel zur Erweiterung des saudi-arabischen Energieportfolios und zur Verringerung der Umweltauswirkungen. Aber es gibt auch Motive, die über diese Aspekte hinausgehen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate streben eine Atomanlage an, und die Iraner sind mit ihren Plänen schon weit fortgeschritten. Quilliam spricht deshalb von «regionalem Konkurrenzdenken».

Klima hin oder her: Es geht immer auch um Politik. Washington und Riad verhandeln seit Monaten über ein Abkommen, in dem Saudi-Arabien Israel anerkennt. Zudem ist von israelischen Zugeständnissen für die Palästinenser und von Sicherheitsgarantien der USA für Saudi-Arabien die Rede. Im Gegenzug sollen die USA die Entwicklung eines zivilen Atomprogramms unterstützen – für Riad am liebsten verbunden mit einer Urananreicherung auf saudischem Boden.

Die 3 Top-Kommentare zu "Stromstoss aus der Wüste"
  • Eliza Chr.

    Saudi-Arabien hat a) täglich viel Sonne, b) am Meer genug Wind, c) hauptsächlich viel Platz auf unbewohntem Gebiet! Also ALLES, was die Schweiz NICHT hat! Windräder dort tangieren nicht Wohnhäuser in 500m Nähe! In der Wüste hat es keine Wanderer, die die Verunstaltung ansehen MÜSSEN! Die tatsächlichen Unterschiede zur Schweiz, falls die Grünen in ein Freudengeschrei ausbrechen wollen! Aber eben, die Realität zu sehen, war noch nie die Sache der Grünen.

  • oazu

    Wenn das erste Kernkrsftwerk steht, erübrigen sich die Ideen von Windkraft- und Solar-Träume, weil sie feststellen werden, dass mit solch unzuverlässigen Quellen sie die Kernkraftwerke (odrr Gas- und Ölkraftwerken) eh brauchen, um eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten, dem Rückgrat der Energieversorgung jeder heute als zivilisiert geltenden Gesellschaft.

  • juege

    Jeder der von erneuerbarer Energie plaudert, ist für mich inkompetent.