Hannover

Nachdem Annalena Baerbocks Nimbus im Bundestagswahlkampf 2021 an Plagiatsaffäre und getürktem Lebenslauf verglüht war, erhielt ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck den ersten Zugriff auf die den Grünen zufallenden Regierungsämter. Er entschied sich für das Wirtschaftsministerium, und bis heute rätseln viele über den Grund. Als früherer Umweltaktivist und Kinderbuchautor hätte Habeck das Umweltministerium nehmen können. Oder das Familienministerium. Sujets also, von denen er etwas versteht. Stattdessen entschied er sich, in die grossen Fussstapfen des Volkswirtschaftsprofessors Ludwig Erhard zu treten, der in der Nachkriegszeit für das deutsche Wirtschaftswunder verantwortlich zeichnete.

Fehltritte und Blamagen

Etwas besser verständlich wird Habecks Entschluss vor dem Hintergrund, dass er sein traditionsreiches Haus flugs in «Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz» umbenannte. All sein Denken und Handeln beruht nämlich auf einer vierteiligen Prämisse: Die Erde erwärmt sich; das ist schlecht; schuld ist vom Menschen gemachtes Kohlendioxid; und das im globalen Massstab winzige Deutschland kann diesen Prozess durch maximale Askese aufhalten.

Während jede einzelne dieser vier Behauptungen für sich genommen diskutabel bis fraglich ist, erscheint ihre Kombination fast wahnhaft, doch hat die Fixierung auf das Klimathema bei Zurückstellung aller Angelegenheiten von Wachstum bis Wohlstand, die eigentlich zum Kerngeschäft eines Wirtschaftsministers gehören, immerhin 15 Prozent der Wähler überzeugt, den Grünen ihre Stimme zu geben.

Immer mehr Bürger merken, dass sich unsere Wirtschaft in der Hand eines ausgemachten Dilettanten befindet.Indes merken immer mehr Bürger, dass sich unsere Wirtschaft in der Hand eines ausgemachten Dilettanten befindet. Im vergangenen Herbst gelangte Habecks Behauptung, deutsche Unternehmen würden bei extremer Energieknappheit nicht in Insolvenz gehen, sondern nur aufhören, zu produzieren und zu verkaufen, zu trauriger Berühmtheit und wurde Ausgangspunkt unzähliger Wortspiele vom Typus «Im Lockdown waren die Schulen nicht geschlossen, sie hatten nur nicht geöffnet». Gewöhnlich bewahren Fachbeamte ihre Minister vor groben Fehltritten und Blamagen. Im Fall des Wirtschaftsministeriums funktioniert dieser Schutz nicht, weil Habeck gleich nach Amtsantritt zahlreiche Köpfe rollen liess und sich mit einer wahren Sponti-Truppe umgab, deren Duktus sogar bei den Pressemitteilungen durchscheint.

Kernkraft für die Ukraine

Habecks vielleicht bizarrste Entgleisung ist erst zwei Wochen alt und sei hier wörtlich wiedergegeben: «Die Ukraine wird an der Atomkraft festhalten. Das ist völlig klar – und das ist auch in Ordnung, solange die Dinger sicher laufen. Sie sind ja gebaut.» Man muss sich dieses Zitat vor folgendem Hintergrund auf der Zunge zergehen lassen: Die Ukraine befindet sich im Krieg, und eines ihrer Kernkraftwerke, nämlich das in Saporischschja, steht seit Monaten unter schwerem Beschuss. Gleichwohl soll es laut Habeck weiterbetrieben werden, mit der schlichten Begründung, dass es ja gebaut sei.

Opfer der Ideologie

Deutschland befindet sich nicht im Krieg. Seine Kernkraftwerke sind auch gebaut. Trotzdem schaltet Deutschland noch in diesem Monat die letzten drei ab, die zu den sichersten der Welt gehören und fast kein Kohlendioxid ausstossen. Im Gegenzug wird der Betrieb von Kohlekraftwerken verlängert. Als einziger Grund gilt, dass Habeck und seine Grünen es so wollen. Sie wollen auch, dass Deutschland preiswertes russisches Gas boykottiert und im Gegenzug teures Flüssiggas (LNG) unter grossem Energieverbrauch über die Weltmeere verschiffen lässt. Zu diesem Zweck werden gerade riesige Terminals an der Nordseeküste errichtet, deren Baukosten mit aktuell zehn Milliarden Euro den von Habeck avisierten Betrag weit übersteigen. Nachdem die Sprengung der wichtigen Versorgungsleitung Nord Stream klaglos hingenommen wurde, sind neue Pipelines kaum in Sicht, zumal sie sich nur über einen langen Zeitraum rentieren und die Regierung den Ausstieg aus jeglicher Art fossiler Energieversorgung forciert.

Dies ist der Kern von Habecks Ein-Punkte-Programm: Ausstieg aus Kernkraft, aus Öl, aus Gas, aus Kohle. Stattdessen soll die Energieversorgung hauptsächlich auf Wind und Sonne umgestellt werden. Fachleute bezweifeln, dass das funktioniert, und die notwendigen Eingriffe in die Natur sind bereits jetzt unübersehbar: Äcker werden unter Solarfeldern begraben, Bäume zugunsten von Windparks abgeholzt. Einige bemerken, dass der Umwelt- und Naturschutz, einst Kernkompetenz der Grünen, längst den ideologischen Kohlendioxidzielen geopfert wurde und kaum noch eine Rolle spielt.

Enteignungsgleiche Vorgaben

Gegenwärtig streitet Deutschland über Habecks ultimativen Schlag, nämlich die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, im Volksmund bekannt als «Heizungsmassaker» oder «Verschrottungsorgie». Der 155 Seiten starke Entwurf hat zwei Schwerpunkte. Erstens verbietet das Gesetz de facto fossile Heizungen, was rund drei Viertel des Wohngebäudebestands betrifft.

Zweitens schreibt es auch für Altbauten einen hohen Dämmstandard vor. Verbunden werden diese Vorgaben mit einem komplexen Dickicht aus Übergangs- und Ausnahmeregeln. So sollen über 80-Jährige ihre Ölheizung behalten dürfen. 75-Jährige müssen hingegen auf erneuerbare Energien umrüsten und ihr Eigenheim auf hohen Standard dämmen – oder eben verkaufen und ausziehen, wenn sie keine sechsstelligen Beträge stemmen können.

Die teils enteignungsgleichen Vorgaben, die viele um den wichtigsten Baustein ihrer Altersvorsorge bringen, sollen zwar mit einer Förderung verbunden werden, doch bedeutet das lediglich eine Verschiebung der volkswirtschaftlichen Kosten auf andere Steuerzahler. Eine Abwägung, ob eine im globalen Massstab geringfügige Kohlendioxidreduktion derart enorme Wohlstandsverluste wettmacht, findet nicht statt.

Fairerweise muss man hinzufügen, dass der Realitätsverlust inzwischen die gesamte Regierung erfasst hat: So fabuliert Bundeskanzler Olaf Scholz von «Wachstumsraten wie in den 1950er und 1960er Jahren» infolge der erzwungenen Verschrottung, während sich Praktiker fragen, woher eigentlich genügend Handwerker kommen sollen, um das Gros der Heizungen und Gebäude binnen kurzer Fristen auszutauschen und zu erneuern.

Fairerweise muss man hinzufügen, dass der Realitätsverlust die gesamte Regierung erfasst hat.Ein Bild, das den Bundeswirtschaftsminister als tapsigen Dummkopf zeichnet, wäre indes unvollständig, denn er hat auch eine durchaus dunkle Seite. Diese wurde vor der Bundestagswahl 2017 sichtbar, als Habeck überoptimistisch von einer baldigen Regierungsbeteiligung ausging und in Richtung Russland drohte, er werde Nord Stream verhindern, die Handelsbeziehungen zu Russland abbauen und Reisevisa einschränken. Als Grund gab er die russische Verstrickung in den Syrienkrieg an. Heutzutage hat er mit dem Ukraine-Krieg einen besseren Grund, doch wirkt dies wie der beliebige Austausch eines Arguments gegen ein anderes, um einen ohnehin gefassten Plan zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist die wilde Rhetorik von Habeck und seiner Co-Vorsitzenden Baerbock («Wir führen Krieg gegen Russland») nicht allein dem Überfall 2022 geschuldet, sondern Ergebnis der Konversion der Grünen von einer Friedens- zu einer Kriegspartei.

Wie Perón und Chávez

Insgesamt erscheint es durchaus vorstellbar, dass Robert Habeck dereinst als neben Ludwig Erhard bedeutendster Wirtschaftsminister in die Geschichte eingehen wird, wobei Erhard den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands repräsentiert und Habeck den Abstieg.

Meine Grossmutter kannte noch den Spruch «reich wie ein Argentinier», der darauf beruhte, dass Argentinien am Anfang des 20. Jahrhunderts zu den reichsten Staaten der Welt zählte. Mit der Wahl des Populisten Juan Perón begann ein langer Niedergang, der bis heute währt. Venezuela widerfuhr unter Hugo Chávez ein ähnliches Schicksal. Es gibt kein Ende der Geschichte; vielmehr werden die Positionen immer wieder neu bestimmt, und für Deutschland sieht es momentan düster aus.

Stefan Homburg ist emeritierter Professor für Öffentliche Finanzen der Leibniz-Universität Hannover. Er twittert unter @SHomburg.