Durchaus animiert führte die Moderatorin am 1. Mai in dieses Format ein, das in den USA als «Townhall-Meeting» bekannt ist und den Mächtigen mit «Volkes Stimme» auf den Zahn fühlen soll.

«Über 500 Anmeldungen sind eingetroffen, wir konnten nur 165 berücksichtigen», führte die Dame mit dem Mikro ein. Die glücklichen Gewinner, die sich Zugang zu dieser Polit-Show mit Olaf Scholz, dem reichlich angeschlagenen Kanzler, ergattern konnten, sassen dann brav und doppelreihig in einem langen Raum zusammen und liessen in der Mitte eine Art Laufsteg für Kanzler und Moderatorin frei.

«Wir haben keine Ahnung, welche Fragen kommen», versicherte die Redaktionsdame in der rosefarbenen Jacke und rief dann ganz spontan Fragesteller auf, zum Beispiel «den Herrn dort in dem weinroten Hemd». Allerdings konnte sie nicht wissen, dass ein paar findige Journalisten der Sache nachgehen würden. Der Herr in der roten Jacke stellte sich als SPD-Ortsvorsitzender heraus.

«Die junge Dame dort hinten», so ganz spontan herausgegriffen, war Beisitzerin der Grünen in Koblenz, und der Junge «von der anderen Rheinseite» stellte sich als Juso-Funktionär heraus.

Das Ganze erinnerte – zumindest die Älteren – dann schon sehr an ähnliche «spontane» Gesprächsrunden im DDR-Fernsehen, in denen sich Bonzen von handverlesenen und sorgfältig präparierten Parteimitgliedern oder munteren FDJ-lern befragen liessen, um den Anschein zu erwecken, hier käme ganz transparent «durchaus auch Kritisches» zur Sprache.

Schon im ersten Durchlauf in der DDR-Diktatur waren dieser Art von «Demokratie-Simulationen» durchaus die Anstrengungen anzumerken, mit denen ein Lügengebäude gestützt werden musste.

Dass derartige Inszenierungen nun auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten über die Bühne gehen, lässt wiederum erahnen, wie gross die Nervosität darüber sein muss, dass wieder einmal ein Kartenhaus zusammenfällt und diejenigen, die gemeinsam darunter sitzen – Medien und Politik –, unter sich begraben könnte.