Auslöser für die Krise war eine Szene bei der Siegerehrung der Frauen-Fussball-WM vom Sonntag in Sydney. Luis Rubiales, der spanische Fussballpräsident, hatte nach dem 1:0-Sieg Spaniens der Nationalspielerin Jenni Hermoso einen Kuss auf die Lippen gedrückt.

Zudem zirkulierten Videobilder, auf denen zu sehen war, wie er auf der Ehrentribüne beim völlig enthemmten Jubel sein Geschlechtsorgan gepackt hatte – an der Seite von Königin Letizia.

Danach wurde aus einer spanischen Staatsaffäre eine weltweit beachtete Angelegenheit – vor allem aus linken Kreisen wuchs der Druck auf den Obmann im Stundentakt.

Am Donnerstag eröffnete auch der Weltfussballverband Fifa ein Verfahren. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: «Mit Ausnahme der katholischen Bischofskonferenz dürfte es in Spanien keine politische, gesellschaftliche oder sportliche Institution gegeben haben, die sich von Rubiales nicht abgewendet hätte.»

Doch der vermeintliche Sünder lässt sich nicht unterkriegen: Voller Überzeugung attackiert er seine Kritiker frontal für «falschen Feminismus» – und bezeichnet sich selber als Opfer: «Ich werde nicht zurücktreten», schrie er an einer ausserordentlichen Versammlung des spanischen Verbandes seinen Anklägern entgegen.

Der Druck, den Spielerinnen, Verbände und selbst die höchsten spanischen Regierungskreise in dieser Woche auf ihn ausgeübt hätten, sei schliesslich nur der Versuch einer «öffentlichen Hinrichtung» gewesen. Er wolle aber bis zum Ende kämpfen, stellte der 46-Jährige klar.

Tatsächlich wirft die Affäre mehrere Fragen auf: Werden hier nicht Scheinheiligkeit und Doppelmoral in ihrer urtümlichsten Form zelebriert?

Selbstverständlich überschritt Rubiales eine Grenze. Aber er tat es in einem Moment des nationalen Überschwangs und in einem Sport, der immer wieder für sich in Anspruch nimmt, von den ganz grossen Emotionen zu leben. Nun wird er von Instanzen verurteilt, die es sonst mit Moral und Anstand auch nicht so genau nehmen.

Dies trifft vor allem auf den Fussball zu, der in einem Refugium der eigenen Regeln lebt – von Geldern alimentiert wird, deren Herkunft oft nicht genau eruiert werden kann – und der soeben daran ist, seine Seele nach Saudi-Arabien zu verkaufen.

Und da soll ein Kuss auf den Mund das grösste Übel sein? Würde überall mit gleichen Ellen gemessen, gäbe es (vor allem) in den internationalen Verbänden schon bald keine führenden Angestellten mehr.