Man muss sich den Wikileaks-Gründer Julian Assange heute als gebrochenen Mann vorstellen: Mehrere Jahre auf engstem Raum in der ecuadorianischen Botschaft in London, danach drei Jahre Isolationshaft im Belmarsh Prison, was laut dem Sonderberichterstatter der Uno, Nils Melzer, ein Fall von psychologischer Folter war; und nicht zuletzt ein endloser, zermürbender Schauprozess um die Auslieferung an die USA, der nun als verloren gelten muss.

Juristisch ist der Rechtsweg in England fast erschöpft, es bleibt nach einer letzten Berufung nur noch der Gang nach Strassburg, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In den USA droht der finale Prozess, die Anklage lautet auf 175 Jahre Haft wegen unter anderem Spionage.

Es wäre ein Todesurteil für Assange. Wie viel kann ein Mensch aushalten?

Doch man muss sich Julian Assange auch als Symbol vorstellen, als Gradmesser für Freiheit im Westen. Und in dieser Funktion als Symbol ist er ungebrochen.

Am Zustand von Assange können wir den Zustand der Pressefreiheit ablesen. Und hier machen die Regierungen der USA und Grossbritanniens den spektakulärsten aller Fehler: Sie machen Assange aktuell zum Märtyrer und sich selbst zu Vollstreckern und Henkern.

An der Art, wie sie Julian Assange behandeln, für die gesamte Weltöffentlichkeit sichtbar, leisten sie den Offenbarungseid auf die westliche Wertgemeinschaft: Humanismus, Menschenrechte, Rechtsstaat werden aus machtpolitischem Kalkül geopfert.

Und die Regierungen in aller Welt halten still.

Die deutsche Aussenministerin Baerbock, vom Völkerrecht kommend und daher mit dem Begriff der Folter vertraut, wollte sich vor der Wahl noch für Assange einsetzen, jetzt, nunmehr in der Regierung, sieht sie plötzlich keinen Handlungsbedarf mehr.

Man will an Assange ein Exempel statuieren: Das, liebe Journalisten, blüht euch, wenn ihr es wagt, Kriegsverbrechen oder sonstige Schweinereien offenzulegen, die man hinter der Barriere der «arcana imperii», der Staatsgeheimnisse, lieber versteckt sehen will.

Die Kriegsverbrecher in Afghanistan oder im Irak bis in die oberste Führungsschicht der USA und Grossbritanniens sind bis heute unbehelligt. Angriffskriege sind persönlich risikoloser als kritische Berichterstattung darüber.

Wer seine Aufgabe als Journalist in Zukunft so radikal transparent erfüllen will wie Assange, muss sich dafür einen Staatsfeind schimpfen lassen und gilt quasi als vogelfrei.

Die Causa Assange ist der Skandal unserer Zeit, die sichtbarste brutale Ungerechtigkeit, die an einer Einzelperson durchexerziert wird, der grösstmögliche Verrat an den eigenen Werten.

Je offensichtlicher Julian Assange zum Märtyrer für die Pressefreiheit gemacht wird, desto deutlicher wird jedem, dass hier das Feld der Demokratie und des Rechtsstaats verlassen worden ist.

In einem wahrlich freien Westen kann es per Definition keine Dissidenten geben; wer versucht, andere für die Veröffentlichung wahrer Tatsachen zur Strecke zu bringen, hat ganz offensichtlich die Seiten gewechselt und Demokratie gegen eine Form von Feudalherrschaft eingetauscht.

Wer so handelt, handelt aus Panik, Hilflosigkeit und Angst vor Aufklärung und Rechenschaft.

Ihnen allein sei ins Stammbuch geschrieben, was schon Emile Zola wusste, als er sein berühmtes «J’accuse» veröffentlichte: Die Wahrheit ist auf dem Weg und nichts wird sie aufhalten.