Litauen hat den Zorn sowohl Chinas als auch Russlands auf sich gezogen. Das erinnert an einen Satz des irischen Dramatikers Oscar Wilde.
Lady Bracknell, falsch zitiert und paraphrasiert, sagt in «Hauptsache Ernst» («The Importance of Being Earnest»): «Sich mit einer Supermacht zu verkrachen, Mr. Worthing, mag als Missgeschick angesehen werden; sich mit beiden zu verkrachen, sieht nach Leichtsinn aus.»
Letzte Woche knöpfte sich China die Litauer vor, weil sie eine Vertretung in Taiwan eröffneten; diese Woche sprang Russland den Litauern an die Gurgel, weil sie Züge mit sanktionierten Waren daran hinderten, Kaliningrad zu erreichen.
Die Stadt, die früher Königsberg hiess, war bis 1701 die Hauptstadt des Herzogtums Preussen; sie ist vor allem als Heimat des grössten deutschen Philosophen, Immanuel Kant, sowie für ihre Fleischklopse (Königsberger Klopse) und ihr geröstetes Marzipan bekannt. Als sich die Sowjetunion aus Mitteleuropa zurückzog, behielt Russland die Stadt wegen ihres wertvollen Hafens an der Ostsee.
Russland konnte sanktionierte Waren auf dem Seeweg nach Kaliningrad liefern.
Was ist also der Grund für die Aufregung?
Die Aufregung rührt daher, dass zwischen Kaliningrad und Russlands Verbündetem Weissrussland nur vierzig Kilometer liegen. Die sogenannte Suwalki-Lücke, die sich entlang der polnisch-litauischen Grenze erstreckt, gilt seit langem als eine wichtige Schwachstelle in der Nato-Verteidigung.
Als Zyniker frage ich mich, ob der russische Ärger mit Litauen eine versteckte Drohung gegen die Nato ist oder ob Russland seinem chinesischen Verbündeten entgegenkommt, weil dieser sich über die Anerkennung Taiwans durch Litauen ärgert.