Muss man ein Taylor-Swift-Experte sein, um über Taylor Swift schreiben zu dürfen? Ich bin es nicht, aber ich habe schon über Popmusik geschrieben, als die Sängerin noch nicht einmal auf der Welt war und die Kulturredaktoren noch unschlüssig waren, ob Popmusik ins vornehme Feuilleton gehört. Einen entsprechend langen Zeitraum umfasst meine Playlist auf Spotify, und jeder neue Star ebenso wie jeder neue Geheimtipp hatte stets seine Chance bei mir, in meine ganz persönliche Hall of Fame aufgenommen zu werden.

Aber von Taylor Swift, deren Name mir seit Jahren geläufig war, finde ich kein einziges Lied in meiner persönlichen Playlist, die immerhin 6000 Songs umfasst. Habe ich da etwas verpasst? Aufgeschreckt durch den Megahype um die Lady, die das Fussballstadion in Zürich gleich noch ein drittes und viertes Mal hätte füllen können, hörte ich mir ihre beliebtesten Songs an, und ich muss zu Taylor Swifts Schande gestehen: Für meine Playlist ist sie einfach zu wenig gut.

Bob Dylan hat für seine Liedertexte den Nobelpreis erhalten, doch unsterblich machen ihn nicht die Texte, sondern in erster Linie die Melodien. Wären die Melodien nicht unvergänglich, wäre Dylan keine Legende. Das ist der Massstab für gute Musik: Ob ihr Sound den Keim der Ewigkeit in sich trägt. Taylor Swift jedoch reiht sich ein in die lange Reihe von Megastars, die ganze Stadien zu füllen vermögen und zur Absperrung ganzer Quartiere führen – obwohl sie vergänglich wie Sternschnuppen sind.

Swifts Liedertexte mögen ehrlich und vielleicht sogar tiefsinnig sein, ihre Ausstrahlung nett und sympathisch, aber das reicht nicht. Alles an ihrer Musik ist mittelmässig und austauschbar: die Melodien, die Stimme, die Arrangements.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mehrere Stücke von ihr allein auf Spotify über eine Milliarde mal angehört worden sind – eines davon sogar weit über zwei Milliarden mal. Dasselbe gilt auch für andere Megahits der letzten paar Jahre, die es unter Milliarden schon gar nicht mehr machen. Fast Food bleiben sie trotzdem.

«Here Comes the Sun», das beliebteste Stück der Beatles, hat es in all den Jahren auf lediglich 1.340.000.000 Klicks gebracht, «Paint It Black» von den Rolling Stones auf 1.221.000.000 und Bob Dylans «Knockin’ on Heaven’s Door» sogar nur auf 425.000.000, aber ich behaupte mal, dass Hymnen wie diese die Menschheit auch dann noch begleiten werden, wenn Taylor Swift längst durch den nächsten Hype ersetzt worden ist. Auch ihre Vorgängerinnen wie Joni Mitchell, Janis Joplin, Chrissie Hynde von den Pretenders oder Christine McVie von Fleetwood Mac haben zwar nur wenige Hunderttausend Hörerinnen und Hörer zu bieten, aber qualitativ bleiben sie selbst für die derzeit mächtigste Königin in der Popmusik unerreichbar. Und in einer schwachen Minute würde das Taylor Swift vielleicht sogar zugeben.

Was aber sagt uns dieser Befund? Dass der gegenwärtige Zeitgeist nichts als Mittelmass produziert. Und dass der Massengeschmack demselben Mittelmass frönt. Eine bedenkliche und traurige Einsicht – die uns aber herausfordert, nach der wirklich guten Musik zu suchen. Abseits der Fussballstadien und Absperrungen. Qualität hat immer auch mit Entdecken zu tun.

Nicolas Lindt ist Schriftsteller und war in den siebziger Jahren einer der ersten Popmusikrezensenten.