Dieses Editorial von Weltwoche-Verleger und -Chefredaktor Roger Köppel erschien erstmals am 14. Januar 2021.

Donald Trumps Präsidentschaft endet, wie sie begonnen hat, im Tumult. Ein wütender Mob stürmte letzte Woche das Kapitol. Es gab Tote. Eine unbewaffnete Frau wurde von der Polizei erschossen. Trumps Gegner, die Medien und aus Selbstschutz auch einige seiner früheren Verbündeten einigen sich darauf, mit seiner Ansprache vor dem Weissen Haus habe der Präsident diesen Gewaltakt, einen «Staatsstreich» angestiftet. Deshalb muss er schleunigst seines Amts enthoben werden. Widerrede verboten.

Das Tempo der Deutungen und Handlungen ist schwindelerregend. Flugs sperrten Facebook und Twitter Trumps Konten, lebenslänglich. Während iranische Mullahs, die Israel ins Meer bomben wollen, weiterhin ungestört ihre Botschaften verzwitschern dürfen, wird der bald abtretende Präsident der weltgrössten Demokratie «entplattformt». Es findet eine klassische Säuberung statt wie in der früheren Sowjetunion. Ein in Ungnade gefallener Politiker wird von den neuen Machthabern gewaltsam gelöscht, aus der Bildfläche wegradiert.

 

Inquisitorische Fantasie

Was wir hier erleben, ist die Konstruktion einer falschen Erzählung, die Fabrikation von Wirklichkeit. Trumps angebliche Hass- und Hetzrede vom Mittwoch, gleichsam die Tatwaffe, wird gar nicht zitiert. Sie wird nur interpretiert. Das hat einen triftigen Grund: Man findet keine Sätze darin, in denen Trump zu Gewalt oder Rechtsbruch anstiftet. Im Gegenteil. An der entsprechenden Stelle der über einstündigen, erstaunlich langfädigen und zum Teil sogar etwas einschläfernden Ausführungen hält er seine Unterstützer ausdrücklich an, ihren Unmut «friedlich und patriotisch» kundzutun. Zwar fällt irgendwo das Wörtchen «wild», doch die Verwendung dieses Adjektivs ist selbst in der aktuellen Kochtopf-Stimmung noch kein amtsenthebungsfähiges Verbrechen.

«Friedlich und patriotisch»: Es braucht hier schon die inquisitorische Fantasie eines Schauprozessanwalts aus den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts in Moskau, um aus solchen Worten den unumstösslichen Beweis für Trumps angebliche Anstiftung zu Aufruhr und Gewalt herauszufälschen. Auch die zeitliche Abfolge widerlegt die Ankläger des Präsidenten. Als im Kapitol die ersten Fensterscheiben klirrten, hatte Trump seine Rede vor dem Weissen Haus, rund 45 Minuten Fussmarsch entfernt vom Kongressgebäude, noch lange nicht beendet. Was immer die Hornmänner und Krawallmacher auf ihrem Amoklauf antrieb: Trumps eher matte Rede kann es nicht gewesen sein.

 

Plünderungen für den guten Zweck

Dass nun aber trotzdem fast die ganze Welt im amerikanischen Präsidenten den alleinschuldigen Urheber einer barbarischen Verwüstungsorgie gegen die Demokratie erblickt, hat dieser in erster Linie sich selber zuzuschreiben. Trump hatte das Recht, die aus seiner Sicht manipulierten Wahlen vor Gericht anzufechten. Es gab auch mehr Unregelmässigkeiten, als unsere CNN-hörigen Medien zu sehen und zu akzeptieren bereit sind. Aber irgendwann hat der Rechtsstaat gesprochen, und dann muss sich auch ein Präsident dem Urteil beugen. Trumps stures, beratungsresistentes Beharren auf Vorwürfen, die er nicht beweisen kann, hat seine Gegner in allen Urteilen und Vorurteilen bestärkt gegen diesen Politiker, der nie ein Politiker war und gerade darum gewählt wurde.

Und ganz egal, was Trump am Mittwoch genau gesagt hat und was daraus von seinen ewigen Kritikern nun irgendwie abgeleitet, herausgewürgt werden soll: Man stellt sich am symbolträchtigen Tag der parlamentarischen Beglaubigung eines Wahlresultats als Präsident und Schirmherr der Verfassung nicht vor eine riesige, im Grenzfall unkontrollierbare Menschenmenge, um sie zu einem Marsch aufs Kapitol zu motivieren. Linke machen das vielleicht. Die heuchlerischen Demokraten haben keine Mühe, monatelange Gewalt-Exzesse mit ausgebrannten Geschäften und erschossenen Polizisten als «Bewegung» zu besingen, die man ja nicht stoppen dürfe; Plünderungen für den guten Zweck. So drückte sich etwa Senatorin Kamala Harris aus, die Vizepräsidentin in spe. Ein Republikaner, ein Bürgerlicher, ein Präsident obendrein, der für sich in Anspruch nimmt, Law and Order zu verkörpern, muss höhere Massstäbe walten lassen.

Wahr ist aber auch: Hinter Trump stehen Millionen. Nach wie vor. Es waren keine Pappfiguren, keine Fata Morganas oder Hologramme, die zu Zehntausenden am Mittwoch nach Washington pilgerten. Es waren grösstmehrheitlich, fast ausschliesslich anständige, patriotische Amerikaner. Sie demonstrierten nicht nur gegen den «Diebstahl» der Wahlen, von dem sie überzeugt sind. Sie kauften sich mit ihrem Corona-verminderten, ohnehin tiefen Einkommen auch deshalb eine Fahrkarte in die Hauptstadt, um die Arroganz und Doppelmoral der Washingtoner Elite anzuprangern. Etwas scheint hier zerbrochen zu sein. Trump brauchte diese Leute gar nicht auf die Strasse zu treiben. Sie kamen von allein. Wohl deshalb, weil sie die Nase voll haben, jahrein, jahraus von den Demokraten und ihren Medien als Nazis, Rassisten, Frauenhasser und «beklagenswerte» Hinterwäldler denunziert zu werden, während linke Mobs praktisch unbehindert prügeln und brennen, Denkmäler stürzen, Gerichte und Polizeistationen stürmen dürfen. Trotz seinen Entgleisungen trauen sie eher Trump als den etablierten Institutionen.

 

Genie der Unzerstörbarkeit

Die Tech-Titanen um Twitter-Chef Jack Dorsey, den Rasputin mit dem Nasenring, werden diese Unzufriedenen mit der Guillotine ihrer «Cancel Culture» weder einschüchtern noch zum Verschwinden bringen. Die Demokraten haben panische Angst vor diesem Reservoir von 74 Millionen Trump-Anhängern. Diese könnten ihrem Idol in vier Jahren ein Comeback bescheren. Darum muss der so Gefürchtete nun per Impeachment in Lichtgeschwindigkeit erledigt werden, für immer. Trump wirkt inzwischen etwas wie der Kampfroboter «Terminator» seines heutigen Gegenspielers Arnold Schwarzenegger, der immer sein wollte wie Trump, es aber doch nie schaffte und darum zu den Feinden überlief. Angeschossen, mit abgerissenen Beinen unter dem Hämmern einer Stanzmaschine wie im Film robbt und fightet Terminator Trump weiter. Und niemand weiss, ob dieses Genie der Unzerstörbarkeit auf einen Abgrund schmelzenden Eisens zusteuert oder auf einen glorreichen Sonnenaufgang im Weissen Haus 2024. R. K.