Berlin

Silberhelle Klavierläufe, als sich die Tür zu Zimmer 105 öffnet – der Abgeordnete Matthias Moosdorf und sein Referent Michael Klonovsky kehren zurück zu Rachmaninows triumphierendem 2. Klavierkonzert, dem Allegro scherzando, nachdem sie mich an der Schleuse zu den Abgeordnetenbüros Unter den Linden abgeholt haben.

Die Weinflasche steht auf dem Tisch, Rachmaninow lässt die Tutti in diesen Schlusstakten prächtig brausen und rauschen, es geht aufs Wochenende zu, Festlaune beim russischen Komponisten, der seine Depressionen nach der missglückten 1. Sinfonie überwunden hatte, und auch hier im AfD-Büro ist die Stimmung nicht übel nach den gewaltigen Stimmenzuwächsen der letzten Wahlen.

 

Nun kommt die zweite Flasche Wein

Matthias Moosdorf könnte rein äusserlich als scharfzüngiger Bundestagsabgeordneter nicht fehlbesetzter sein, denn mit seinen randlosen Brillengläsern unter der Lockenfrisur sieht er wie Pinocchios Puppenmeister Gepetto aus, ein freundlicher Märchenonkel, doch nichts könnte mehr in die Irre führen – dieser siegreiche Direktkandidat aus Zwickau hat nicht nur die innerparteiliche Messerei um die Kandidatur gewonnen, sondern auch an Statur im Parlament: als unbestechlicher Revisor gegen das Ampel-Elend.

Am Tag zuvor hat er die Aussenministerin mit der Frage nach dem Verbleib von 300.000 Waffen in Verlegenheit gebracht, die inzwischen bei Kurden oder in den Händen von zaunstürmenden Immigranten gesehen wurden. Des Weiteren, ob sie wisse, dass die Gelder für das Flüchtlingshilfswerk UNRWA auch der Förderung antisemitischer Schulbücher zugutekomme?

Annalena Baerbock verbat sich in beiden Fällen den plakativen Stil der Anfragen, die  man allerdings auch als deutlich beziehungsweise notwendig erkennen kann, auf alle Fälle aber als  demokratisches Recht, von dem die AfD mit grossem Nutzen für die Allgemeinheit Gebrauch macht – immerhin wurde mit derartigen Interventionen der Filz zwischen Staatsjournalisten und Regierung und vieles mehr ruchbar, was unter den Teppich gekehrt werden sollte.

Überhaupt darf sich die AfD bisher – immerhin das – als Transmissionsriemen des gesellschaftlichen Unmutes ins Parlament verstehen, das Haus eines Parteienkartells, das sich ansonsten entschlossen hat, die Wirklichkeit «draussen» als Störung seines abgehobenen Treibens ungnädig auszublenden. «Die allgemeine Impfpflicht haben wir mit unserem Insistieren auf namentlicher Abstimmung verhindert», sagt Moosdorf.

Nun kommt die zweite Flasche Wein, diesmal ein roter Hermitage, zudem Baguette und Brie de Meaux auf den runden Tisch, und auf dem Rechner Klonovskys geht Rachmaninow im dritten Satz mit ganzer Orchesterpracht in die Vollen und lässt keine Zweifel daran, dass er seine Schaffenskrise, die ihn um 1900 herum befiel, überwunden hatte.

Ich bitte darum, den Krach leiser zu stellen, wie mein Vater früher, wenn ich in meinem Kinderzimmer die Stones aufgedreht hatte. Was eher murrend befolgt wird, was mir aber die Möglichkeit gibt, der Unterhaltung zu folgen, denn Klonovsky diskutiert gerade mit Moosdorfs zweitem Referenten – nein, nicht über das Verhältnis von Friedrich Merz zu den Grünen, sondern über das von Wagner zu Nietzsche. In diesem Bürovorzimmer ist einiges ungewöhnlich. An den Wänden keine Tierkalender, sondern Komponistenporträts, und der Bürochef, der unter Claudio Abbado musizierte und gut mit Kurt Masur bekannt war, steuert eine psychologische Beobachtung Stefan Zweigs bei.

Der Kulturquotient hier dürfte beträchtlich über dem des Vorzimmers von Kevin Kühnert liegen, denn Matthias Moosdorf ist nicht nur Parlamentsmitglied, sondern in erster Linie und derzeit nebenbei der grösste Cellovirtuose, den das Hohe Haus je in seinem Plenum hatte – 120 CDs und Tourneen in sechzig Ländern zeugen davon. Demnächst wird er in St. Petersburg konzertieren, Einladungen aus Israel liegen auf dem Tisch.

 

Faible für Aussereuropäisches

Was für eine Laufbahn, gemessen an dem Personal, dem in unserem Land die Pflege der Kultur anvertraut ist – um kurz einmal die grüne Skandalnudel Claudia Roth ins Spiel zu bringen, die ihre formenden Jahre als Roadie für die Band «Ton Steine Scherben» zubrachte und ohne Bildungsabschlüsse hinter dem Plakat «Deutschland, du mieses Stück Scheisse» hertrottete.

Moosdorf, geboren vier Jahre nach dem Mauerbau in Leipzig, Sohn eines Geigers, den er staunend auf seine Konzerte begleitete und dem er nacheiferte an Leipzigs Institut für Hochbegabte. «Ich fing spät an, so mit sechs», sagt er, «aber ich habe beherzigt, was mir ein Lehrer dort sagte: ‹Egal, was du tust, ob du Schwimmer werden willst oder Musiker, 10.000 Übungsstunden sind das Minimum.›»

Nach der Berufsausbildung zum Elektrotechniker in Kombi mit dem Abitur studierte er an der Hochschule für Musik in Leipzig und nahm dort anschliessend einen Lehrauftrag wahr. All das führte dazu, dass er nicht nur in Beethovens Streichquartetten brillieren, sondern auch eine Wärmepumpe installieren kann, im Gegensatz zu jenen, die sie derzeit lediglich verordnen.

Ja, so sehen Qualifikationen aus, die nicht nur behauptet, sondern nachgewiesen sind.

Der Abgeordnete posiert kurz für mich hinter seinem Chefschreibtisch unter einem Litho seines Lockenporträts zwischen Cello und Fernsehturm, dann zeigt er nicht ohne Stolz auf eine Bronze auf dem Couchtisch. Sie stammt von dem – ui, ui, ui – «umstrittenen» Arno Breker, dem, wie man so sagt, Verherrlicher des faschistischen Körperkults: «Schau dir diese Spannung im Rücken an», tatsächlich könnte der Schwertkämpfer dort jeden Moment loslegen.

Moosdorfs AfD-Parteikarriere begann analog zu der Klonovskys als Referent der Gründerin Frauke Petry, und er schied wie jener im Krach von ihr und wandte sich, laut Wikipedia, dem «rechten Parteiflügel» zu. Er «behauptete, Migranten seien ‹völlig unberechenbare, unserer Kultur fremde Menschen›», was nahezu wörtlich wiederholt, was der frühere Kanzler Helmut Schmidt seiner Interviewerin Sandra Maischberger einst in einer Sendung entgegenhielt. Was wiederum die weltkluge SPD-Legende eindeutig dem rechten AfD-Flügel zuordnet.

Das alles bedeutet allerdings nicht, dass Moosdorf nicht auch ein Faible hätte für Ausserklassisches, Aussereuropäisches, nämlich für das, was die Nazis und der junge Musikkritiker Theodor W. Adorno einst als «Negermusik» bezeichneten, den Jazz.

Ich hatte Moosdorf im Zusammenhang mit einer Reportage über den Wahlkampf von Klonovsky in seinem Landhaus besuchen dürfen («Im Herzen des Widerstands», Weltwoche Nr.25/21), wo sich seine gutmütige Riesendogge Tosca von den kleinen Zwillingsmädchen ärgern liess, die unter ihr herumkrabbelten, und wo die russische Frau Olga einen Lammbraten zauberte. Da liess Moosdorf auf seiner Anlage Erroll Garner swingen, was total passte zu Whiskey und Zigarre an diesem Sommerabend.

Doch zurück in diesen Spätherbst der AfD-Triumphe in Deutschland und die kriegerischen Verdüsterungen der Weltlage.

Wird es Neuwahlen geben angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Bevölkerung dafür ist, diese «politische Resterampe», wie Günter Jauch die Ampel in der Bild-Zeitung nannte, nach Hause zu schicken? Ein einhelliges «Nein» in der Runde. Diese Regierungskohorte wird versuchen, von Tag zu Tag zu überleben. Und selbstverständlich die AfD zu verhindern, wo sie kann.

Da ist die Parteienfinanzierung, die der AfD-Stiftung Desiderius Erasmus trotz höchstrichterlichem Beschluss bisher verweigert wurde. Derzeit basteln die Altparteien an einer «Lex AfD», die auch auf weiteres Geldzahlungen an die Stiftung verhindern könnte. Allerdings liegen die Nerven blank. So bellte jüngst der Grüne Anton Hofreiter, der den EU-Ausschuss anführt, Matthias Moosdorf, der auch dort sitzt, mit den Worten an: «Ihr seid eine Truppe von Vaterlandsverrätern!»

Moosdorf lächelt: «Immerhin hat er mal das Wort Vaterland in den Mund genommen.» Wahrscheinlich zu spät, möchte man hier einwerfen: Die Grünen sind mit ihrer blamablen Regierungstätigkeit auf 13 Prozent heruntergeschmolzen, die AfD ist auf 23 Prozent angewachsen.

 

Denken als Alternative

Wie sehr die prekäre Zuspitzung im Nahen Osten auch zu einem deutschen Problem wird, liess sich an der Reaktion auf den Angriff der Hamas auf Israel erkennen. Hamas-Anhänger, die durch die laxe deutsche Grenzöffnungspolitik in den vergangenen Monaten und Jahren ins Land strömten, bejubelten in Sichtweite des Holocaust-Denkmals die Judenmorde und die enthemmten Widerlichkeiten des islamistischen Mobs im Gazastreifen.

«Wir sind die einzige Partei im Parlament, die ein Verbot der Hamas vertritt», sagt Moosdorf. «Während sich Steinmeier gerne mit Abbas fotografieren lässt und zum Jahrestag der iranischen Revolution Glückwunschtelegramme verschickt.»

Zum Abschied drückt er mir einen Ziegelstein in die Hand: eine Sammlung von politischen Texten von 2016 bis 2022 unter dem Titel «Denken als Alternative».

Das Buch, mittlerweile in der dritten Auflage, präsentiert das beeindruckende Panorama eines deutschen Kosmopoliten, eines vielgereisten Intellektuellen und musischen Menschen, von Überlegungen zur «Dritten Diktatur» über Eindrücke aus China bis zu Betrachtungen über den Islam und Oswald Spengler sowie über die Versprechungen der Nato, nicht in den Osten vorzurücken.

Es präsentiert das Nachdenken als Alternative zur aktuellen Wurschtelei.

Tatsächlich, finde ich – unsere Politik sollte es vielleicht damit einmal probieren!