Das Bonmot machte rasch Karriere. Der Schriftsteller Max Frisch (1911–1991) kommentierte den Zustrom südeuropäischer Arbeitskräfte in die Schweiz während der Hochkonjunktur der sechziger und siebziger Jahre so: «Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.»
In der Tat erwiesen sich die Italiener, Spanier, Portugiesen und Griechen als temperamentvoller, lauter, aber auch geniesserischer und unbeschwerter als die trockenen, schwerblütigen Schweizer.
«Wir riefen Flüchtlinge, und es kamen Menschen», könnte man gegenwärtig in Abwandlung von Frischs Zitat feststellen. Laut Sonntagsblick und anderen Quellen zeigen sich nämlich erste Risse in der Solidarität mit den bald 20.000 ukrainischen Neuankömmlingen.
Im Kanton Jura hätten Flüchtlinge umplatziert werden müssen. Grund: «Spannungen mit den Gastfamilien». Den freiwilligen und gutherzigen Helfern sei oft nicht bewusst, was auf sie zukomme, meint der Kanton Basel-Landschaft. Und im Kanton Aargau melden sich vermehrt Gastfamilien mit der Forderung, die Ukrainer «schnell in kantonale Strukturen» zurückzuführen.
Das Phänomen zeigt sich bei jeder Flüchtlingswelle: Nach dem ersten warmen Auflodern der Willkommenskultur folgt wie eine kalte Dusche die Ernüchterung. Die Flüchtlinge sind nicht ganz so dankbar, wie es die Gastgeber erwartet haben, sondern ziemlich anspruchsvoll.
Auch kamen sie möglicherweise mit neueren Autos und moderneren Klamotten, als sie ihre Gastfamilien besitzen. Manche Flüchtlinge wähnen sich in einem Hotel statt in einem Privathaushalt und möchten ungerne selber Hand anlegen. Die hygienischen Vorstellungen zwischen Gastgebern und Gästen sind allzu unterschiedlich. Und die Flüchtlinge sind nicht ganz so geräuschlos wie erwartet – und zuweilen lachen sie, obwohl sie doch eigentlich nichts zu lachen hätten.
Auch Ukrainer sind eben nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Menschen. Mit idealistischen, überhöhten Vorstellungen ist ihnen nicht gedient. Wer als Freiwilliger nicht auch Unangenehmes tragen will, sollte sich vorher genau prüfen. Und erst dann Verantwortung übernehmen, wenn man sie auch zu tragen vermag. Sonst hängt die missglückte vermeintliche Flüchtlingsidylle – wie meist – am Schluss wieder an Mama Staat.