Das Leben als Auto-Tester ist bisweilen kompliziert. Es soll hier nicht darum gehen, mich auf zu hohem Niveau zu beklagen, aber als mir am vergangenen Wochenende ein Bentley Flying Spur Mulliner zur Verfügung stand, hätte ich damit gerne mehr Kilometer zurückgelegt, als mir aufgrund unvorhergesehener beruflicher und privater Ereignisse letztlich möglich waren. Einen Bentley kriegt man nicht wochenweise, Vergnügen auf diesem Exzellenz- und Preisniveau sind kurz und im besten Falle intensiv.

Der Flying Spur stand mir in einer expressiven violetten Lackierung zur Verfügung. Das beleuchtete fliegende B, das sich bei Motorstart aus der Tiefe der Frontpartie des Wagens erhebt, glänzte hingegen in Schwarz, und insgesamt erschien mir die grosse Luxuslimousine eine überzeugende Art, das eigene Selbstbewusstsein darzustellen. «Heads will turn», verspricht Bentley, wenn es um seine Mulliner-Fahrzeuge geht, die so etwas wie die Spitze des handwerklich Machbaren darstellen. Helles Leder in drei Farben, mattes Holz, glänzendes Chrom und vor allem eine distinguierte Atmosphäre der komfortablen Ruhe bestimmen das Erscheinungsbild des Innenraums. Das alles sorgt tatsächlich dafür, dass sich Köpfe nach dem violetten «Spur» drehten, wo immer ich damit entlangfuhr.

Wegen der erwähnten Umstände waren meine Aktivitäten mit dem britischen Edelfahrzeug nicht gerade ausschweifend. Aber gerade weil ich mit der Limousine zu ganz normalen Terminen in und um Zürich oder zu meiner Lieblingsbäckerei (Collective Bakery) fuhr, erwies sich der Bentley neben seinem statusgemässen Geltungsdrang als auch absolut alltagstaugliches Fahrzeug. Der geschickte Einsatz von Elektronik und technischen Möglichkeiten wie der Hinterachslenkung macht das immerhin auf 5,3 Meter Länge gestreckte Auto erstaunlich leicht manövrierbar.

Im Vergleich zur ersten Generation des Flying Spur ist diese zweite Entwicklungsstufe eine in jeder Hinsicht hervorragende Limousine, die einen, auf Luftfederung gebettet, mühelos, elegant und komfortabel ans Ziel fährt. Dafür sorgt auch der W12-Motor, der bei Bentley seit der Wiederauferstehung der Marke vor zwanzig Jahren zur Ikone entwickelt wurde. Die Laufruhe, die unwiderstehliche Kraftentfaltung und das leise Gurgeln des 12-Zylinder-Motors mit Biturbo und sechs Litern Hubraum sind so etwas wie die neunte Symphonie der Ingenieurskultur.

Die Zeit dieses Motors ist allerdings vorbei, die letzten Bestellungen für W12-Modelle sind bereits getätigt, die Zukunft von Bentley wird (teil)elektrisch und CO2-neutral sein. Vielleicht ist das wie die Umstellung von Schwarzweiss- auf Farbfernseher, und vielleicht bin ich zu nostalgisch. Aber mir scheint, nichts passt besser zur handwerklichen Meisterschaft eines Mulliner-Interieurs wie ein technisch anspruchsvoller und weitgehend analoger Motor.

 

Bentley Flying Spur W12 Mulliner

Motor/Antrieb: W12-Turbobenziner, Allradantrieb, 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, Hubraum: 5950 ccm; Leistung: 635 PS (404 kW), max. Drehmoment: 900 Nm/1500–5000 U/min; Verbrauch (WLTP): 15 l / 100 km; Beschleunigung (0–100 km/h): 3,7 sec; Höchstgeschwindigkeit: 333 km/h; Preis: Fr. 322 800.–, Testwagen: Fr. 359 250.–