«Air Defender 23»: Die grösste Luftwaffenübung seit Bestehen der Nato hat begonnen.

1983 wäre es bei der grossangelegten Nato-Übung «Able Archer» um ein Haar zur nuklearen Eskalation gekommen. Die Öffentlichkeit erfuhr durch freigegebene Dokumente davon erst im Jahr 2013. Die Sowjets nahmen an, unter dem Deckmantel der Übung würde ein echter Nuklearangriff auf die Sowjetunion erfolgen. Grund: Die Übung entsprach jenem Szenario eines Angriffs, mit dem die Sowjets in der Realität rechneten.

Nun ist «Air Defender 23», so der Name aktuellen Übung, nicht «Able Archer», aber unter dem extrem angespannten Verhältnis zwischen Nato und Russland ist kaum auszuschliessen, dass Jahre nach der Übung die Öffentlichkeit vielleicht etwas ähnlich Erschreckendes erfährt.

Offensichtlich erschreckend ist, dass selbst vierzig Jahre nach «Able Archer» noch immer der grundlegende Konflikt zwischen der Nato und Russland besteht.

Diese Übung, auch wenn sie bereits 2018 geplant wurde, ist hochgradig provozierend: Rund 10.000 Soldaten, 25 Nato-Staaten und 250 Flugzeuge: Säbelrasseln, während an der Front in der Ukraine russische und ukrainische Soldaten nur so verrecken.

Vom ehemaligen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Helmut Schmidt stammt der Spruch: «Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schiessen.»

Schmidt kannte noch den Krieg. Er wusste, warum er das sagte. Heutzutage ergötzen sich Sofa-Strategen und Tastatur-Bellizisten an der «Show of Force» (Zeigen von militärischer Macht).

Die militärische Grossübung ist unter den gegebenen Umständen ein symbolischer Gewaltakt: Ein Gewaltakt, hochgezüchtet von einem «Verteidigungsbündnis», das seine eigene Legitimation aus dem Märchen vom bösen Russland, das die Nato-Mitgliedsstaaten bedroht, zieht.

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Zuletzt von ihm erschienen: «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen. Das Corona-Unrecht und seine Täter», Rubikon.