Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat seinen Rücktritt eingereicht.

Der Wahlbehörde zufolge können Neuwahlen frühestens Mitte November 2023 stattfinden. Ob Rutte nach 13 Jahren Amtszeit erneut zur Wahl antreten wird, bleibt offen. Die Aufsplitterung der Parteienlandschaft in den Niederlanden ist sehr breit. 2021 hat Ministerpräsident Rutte mit seiner liberalen VVD die Wahlen mit 21.9 Prozent zwar gewonnen, aber er benötigte drei weitere Parteien zur Bildung einer Koalition.

Die D66 (15 Prozent), eine 1966 gegründete links-liberale Partei, die CDA (9.5 Prozent / Christlich-Demokratischer Aufruf) und die streng calvinistische CU (3.4 Prozent / Christlichen Union), wurden Teil der Rutte-Koalition. Zusammen errangen sie 49.8 Prozent Wähleranteil und 78 der 150 Sitze im Unterhaus.

Der Niedergang der nun zurückgetretenen Regierung war absehbar. Bei der Provinzialwahl im März 2023, bei der auch die Erste Kammer des Parlaments indirekt gewählt wurde, mussten alle Regierungsparteien deutliche Verluste hinnehmen. Grosser Wahlsieger war die rechtspopulistische Bauerbürgerbewegung BBB (= BoerBurgerBeweging), die auf Anhieb stärkste Kraft wurde.

Im Senat, in dem 15 Parteien vertreten sind, hat die BBB 16 der 75 Sitze (21.3 Prozent) gewonnen, während Ruttes VVD nur noch zehn (bisher zwölf) Sitze eroberte. Die Koalitionsparteien verloren zusammen acht Sitze und kamen noch auf 24 Mandate. Für eine Mehrheit von 38 Stimmen im Oberhaus war die Regierungskoalition seither auf die Links-Grünen oder die BBB angewiesen.

Im Unterhaus mit 150 Sitzen ist die Parteienlandschaft mit 20 verschiedenen Parteien noch stärker aufgesplittert. Die Regierungskoalition mit einer Mehrheit von 78 Mandaten setzt sich aus den vier Parteien VVD (34 Sitze), D66 (24), den CDA (15) und der CU (5) zusammen. Die erst 2019 gegründete BBB errang bei den Wahlen 2021 lediglich ein Mandat. Dies wird sich bei den nächsten Wahlen im März 2025 ändern. Die Umfragewerte für die BBB sind seither massiv angestiegen. Sie liegt Mitte 2023 mit 27 Prozent Wähleranteil an der Spitze, die bisherige Koalition kommt noch auf 41 Prozent.

Die zurückgetretene niederländische Regierung stritt seit ihrem Amtsantritt vor anderthalb Jahren über das Immigrations-Thema. Die Niederlande gehören innerhalb der EU zwar zu den Ländern mit der strengsten Einwanderungspolitik. Unter dem Druck der rechten Opposition sah Rutte sich dennoch gezwungen, die Aufnahme von Geflüchteten weiter zu begrenzen. 2022 nahm die Asylbewerberzahl gegenüber dem Vorjahr um rund ein Drittel zu und 2023 rechnet man mit einem weiteren Anstieg auf 70'000, mehr als 2015. Bis März 2023 stellte sich die Nettoimmigration auf 35'000 Menschen, wovon rund 25'000 aus der Ukraine.

Diesmal scheiterte die Regierung an den von Rutte vorgeschlagenen Massnahmen zur Begrenzung der Migration. Rutte wollte die Familienzusammenführung erschweren, indem Kinder von Flüchtlingen mindestens zwei Jahre bis zum Nachzug ihrer Familien warten müssten und zudem eine Obergrenze eingeführt werden sollte. Pro Monat sollten maximal 200 Geflüchtete die Erlaubnis für den Familiennachzug bekommen. Die «Gutmenschen-Parteien», die christdemokratische PCU und die D66 lehnten diese Forderungen ab.

Politbeobachter sehen den Streit um die Asylpolitik aber lediglich als vorgeschobenen Grund für das Auseinanderbrechen der Regierung. Auch in den Niederlanden sorgen sich die Menschen um die Wohnungsnot, die Energiewende sowie die Klimapolitik. Einer der grossen Konflikte ist die Zukunft der Landwirtschaft angesichts angekündigter Umweltauflagen. Die geplante drastische Reduktion des erlaubten Düngereinsatzes (Nitrogen) wird viele Landwirte zur Aufgabe ihrer Betriebe zwingen. Dagegen wehren sich die Bauern, die sich in der BBB zusammenrotten. Die Niederlande sind nach den USA der zweitgrösste Agrarexporteur der Welt.