In einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, wanderte ein Bundeskanzler durch einen finsteren Wald … Der Ausblick für Olaf Scholz (SPD) ist derzeit in der Tat eher düster als märchenhaft. In seinem Innenhof steht eine halbtote Weihnachtstanne, die in Wirklichkeit eine Fichte ist, seine Regierungskoalition hat gerade einen Haushalt für 2024 beschlossen, der mit einem wirren Massnahmenmix die Inflation ankurbelt, Bauern auf die Strassen treibt und mit weiteren Notständen droht, und auf den Fluren im Reichstag wird über Neuwahlen im kommenden Jahr spekuliert.

Läuft für Ampel und Kanzler.

Wenn man die Augen ganz fest zukneift und im Kreuzworträtsel die Lösung für «Norwegischer Königsname mit vier Buchstaben» weiss. Als solcher scheint sich der deutsche Regierungschef derzeit zu sehen: «Wir haben so viele Dinge zustande gebracht», sagte Scholz dieser Tage im ARD-Interview, «dass das die Basis dafür sein kann, dass man in den nächsten zwei Jahren erreicht, dass dann auch angesichts der Ergebnisse die Zustimmung für die ganze Regierung, die sie tragenden Parteien – auch für meine und auch für den Kanzler – gut genug ist, um sich erfolgreich an die Wiederwahl zu machen.»

«Neuwertig, würde ich am liebsten selbst kaufen», sagen Gebrauchtwagen-Händler in solchen Situationen. Scholz dagegen meint es ernst. Seine SPD erreicht in Umfragen derzeit 15 Prozent, sieben Prozentpunkte hinter der AfD. Nur 20 Prozent der Deutschen sind mit der Arbeit des Kanzlers zufrieden, der schlechteste Wert seit Beginn der Messung im Jahr 1997.

Und Scholz spricht über seine Wiederwahl, an die keiner glaubt und die kaum wer will.

Ob er das selbst glaubt? Unklar.

Einerseits hat Scholz von seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) gelernt, dass man nicht den kleinsten Kratzer in der Fassade zugeben darf, sondern im Zweifel stoisch gegen die Realität anreden muss, um den «Neidern, Nörglern und Niederschreibern» nicht noch Futter zu geben.

Andererseits berichten Insider, dass Scholz und sein engster Verbündeter, Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, tatsächlich der Ansicht sind, es sei nicht etwa Glück gewesen, bei der Bundestagswahl 2021 wenige Zehntel vor der Union ins Ziel gekommen zu sein, sondern ein raffinierter jahrelanger Strategieplan, der am Ende aufgegangen sei.

Es könnte auch sein, dass Olaf Scholz in seinem Plattenschrank den «lachenden Vagabund» von Fred Bertelmann (1958) gefunden hat und im Dauerbetrieb abspielen lässt und leise mitsummt: «Denk ich an Capri, dann denk ich auch an Tina. Sie liebte einen Lord. Doch als sie mich sah, die schöne Signorina, lief sie ihm gleich fort … Ich bin ein Vagabund, meine Welt ist bunt … hahahahaha …»

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.