Stefan Wimmer: Die 12 Leidensstationen nach Pasing. Penguin Randomhouse. 256 S.

Sie haben es geschafft. Ich löse die Band auf. Dies ist das letzte Konzert. Mein Name lautet Stefan Wimmer, und ich bin derjenige, der mit vier Büchern die deutsche Comedy auf eine neue Stufe gehoben hat. Doch was ich seit 25 Jahren auf dem hiesigen Buchmarkt sehe, ist einfach unglaublich. Es ist krank.

Der Wahnsinn ging weiter

Zunächst ein Rückblick: Als ich beruflich zum ersten Mal den Griffel schwang, schrieb man das Jahr 2000, die Ära der Popliteratur: Die Vöglein zwitscherten, die 80.000-Euro-Vorschüsse wechselten ihren Besitzer, und das ganze Land atmete Hoffnung. Um dem eher prätentiösen Stil eines Herrn Kracht oder Nickel etwas entgegenzusetzen und ein wenig meinen eigenen Helden zu huldigen – den Farrelly-Brüdern, Fellini et cetera –, schrieb ich «Die 120 Tage von Tulúm», eine Art Roadmovie, und brauchte trotz des guten Geschäftsklimas geschlagene vier Jahre, um das Buch bei einem Verlag unterzubringen.

«Die 120 Tage von Tulúm» wurde schliesslich von einem halbbankrotten Kleinverleger veröffentlicht, das Buch bekam Lobeshymnen in der ARD, die Süddeutsche Zeitung nannte es «das unterhaltsamste, komischste Stück Männerliteratur der vergangenen Jahre», und die Verkäufe waren nicht übel.

Dann verschwand der Verleger mit meinen Tantiemen, und im Rückblick fragte ich mich oft: Was waren das für Menschen in diesen Lektoraten, die über vier Jahre hinweg nicht in der Lage waren, den Soul und Humor des Buchs zu erkennen? Und ich musste jedes Mal zwangsläufig an diese eine Lektorin denken, die bei unserem Treffen schrill geschrien hatte: «Also, ich bin in unserem Verlag zwar verantwortlich für die biografisch-ernste Schiene wie ‹Du Saujud! – Mein Grossvater, der Lagerkommandant›, aber persönlich les’ ich am liebsten ‹Die Wanderhure›.»

Nach diesem Einstand werkelte ich am zweiten Streich, an der Satire «Der König von Mexiko», die sich um Männerzeitschriften und meine Jahre in Lateinamerika drehte. Und der Wahnsinn ging weiter: Ich verplemperte abermals drei Jahre meines Lebens damit, den Roman wie ein Klinkenputzer einer langen Reihe von Lektoraten anzubieten, von Rowohlt bis Kiwi. Einer zeigte sich nach Manuskriptübergabe «sehr enttäuscht», ein anderer sagte in einem Gespräch: «Das können wir höchstens verlegen, wenn Sie durchgängig eine starke, emanzipierte Frauenfigur einbauen, die den Helden am Schluss erlöst!»

Was waren das für Menschen, die nicht in der Lage waren, den Soul und Humor des Buchs zu erkennen?Am Ende klaubte Eichborn Berlin den «König von Mexiko» auf, gegen ein Spotthonorar. Der Roman kam abermals in ARD-Sendungen, erhielt Lobeshymnen in mehr als einem Dutzend Zeitungen – von der FAZ bis zur SZ –, und die Verkäufe lagen am Schluss im fünfstelligen Bereich. Und ich verstand langsam, dass die deutsche Lektorenschaft nicht nur aus lauter subalternen Wichtigtuern bestand, die keine Ahnung von Humor hatten, sondern auch aus Leuten, die versuchten, der Literatur ihre völlig unmassgebliche Weltsicht überzustülpen.

Noch sensibler als bisher

2016 schrieb ich dann relaxed unter Palmen «Die 12 Leidensstationen nach Pasing», mein liebevollstes Buch, eine Jugendgeschichte über die «Kajal-Clique» im München der achtziger Jahre, und ich war mir sicher, dass dieses Buch meinen Durchbruch bedeuten würde. Freilich konnte ich nicht wissen, dass der hiesige Literaturmarkt auch mit massenkompatiblen Büchern spielend leicht fertig werden würde. Nach den üblichen zwanzig Absagen konnte ich das Buch 2019 einem Lektor von Randomhouse verkaufen. Der Lektor war mir von früher her noch bekannt als jemand, der sich gerne als wilder Rock ’n’ Roller stilisierte, in meinen Augen jedoch in keinem Detail von meinen bisherigen Ansprechpartnern zu unterscheiden war. Seine Lieblingssätze lauteten, wenn man sich mit ihm unterhielt:

1 «Find ich schwierig.»
2 «Seh’ ich so nicht.»

3 a) «Rockt anständig» (wenn sich das Gespräch um einen anderen Autor drehte).
3 b) «Halbwegs launig» (wenn sich das Gespräch um einen selbst drehte).

Doch ich hatte keine Wahl. Ich unterschrieb den Vertrag, und die Besonderheit meiner neuen Geschäftsbeziehung war, dass ich noch nie so viel Arbeit mit einem Buch gehabt hatte wie jetzt. Das fing beim Cover an, weil die Gestalter nicht in der Lage waren, einen vernünftigen Umschlag abzuliefern, und wir das Cover deshalb selbst basteln mussten. Das zog sich über diverse weitere Frondienste hin, von der Korrektur des desaströsen Drucksatzes bis zur Pressearbeit, und mündete in Hilfestellungen für die für Lesungen zuständige Dame, die für alles Tun eine Sonderaufforderung benötigte.

Die Fronten verlaufen zwischen Leuten, die sich alles bieten lassen, und Leuten, die das nicht tun.

Das Buch ging in den Druck, und die ersten Nachrichten von Corona verbreiteten sich. Daher bat ich den Verlag, den Erscheinungstermin des Buchs nach hinten zu schieben, was als albern abgetan wurde. Es waren die berühmten Wochen, in denen Warnungen vor Lockdowns als Zwangsvorstellungen rechter Wirrköpfe abgetan wurden, und mit dem Thema rechts nahm mein Lektor es sehr ernst: Die Gespräche drehten sich des Öfteren darum, dass man «Rechtsradikalen wie Tichy und Fleischhauer keine Bühne bieten» dürfe, und auch bei den Buchmessequerelen 2017 stand mein Lektor auf den Barrikaden mit der Forderung, «jeder Lektor sollte noch aufmerksamer und sensibler als bisher darauf achten, welche Bücher veröffentlicht werden und welche nicht».

Weisse, alte Schmalspurliteraten

Mit Ausrufung des ersten Lockdowns wurden diese Freiheitsschwüre jedoch verhaltener. Die Auskünfte meines Lektors lauteten jetzt, wenn ich ihn nach dem Stand der Buchverkäufe fragte: «Ja, zugegeben, da hatten wir ein eher schlechtes Timing! Aber es hilft ja nix! Da müssen wir jetzt durch! Blöd: Bestellen tun die Buchhändler grad nix! Ausserdem ist Renata im Home-Office und Wiebke in Elternzeit, da läuft grad auch der Vertrieb schwierig! Aber auf Amazon ist dein Buch ja vorrätig.»

Derweilen schrieb die SZ eine Hymne auf das Buch («Lieblingsbuch Nr. 1. Ein Buch, das nachhallt, ach was, nachdröhnt mit einem gewaltigen Bumms aus der Vergangenheit»); Benedict Wells liess verlautbaren: «Gott, ist das gut! Wenn das kein Kultbuch wird, weiss ich auch nicht»; und der Falter verstieg sich zu der Behauptung: «Gäbe es auf der Welt Gerechtigkeit, Stefan Wimmer wäre Bestsellerautor.» Doch alles, was sich an Besprechungen tat, verhallte in der Maschinenhalle von Randomhouse: Madame X., die für die Filmrechte zuständig war, legte ein völlig antiquiertes Exposé vor, war dann monatelang krankgeschrieben und wechselte plötzlich putzmunter zur Konkurrenz.

Mademoiselle Y., die die Lesungen verwaltete, hatte es nicht geschafft, auch nur eine einzige Lesung zu organisieren. Die Presseabteilung, die das Buch beim Fernsehen promoten sollte, hörte irgendwann auf, E-Mails zu beantworten, und ging in den Mutterschutz beziehungsweise zur Konkurrenz.

Ich versuchte zu retten, was noch zu retten war, vor allem in Sachen Filmbusiness. Doch jedes meiner Treffen war wie eine Begegnung mit Mehltau: Da gab es diesen Filmmenschen von Pantaflix, der sich lange darüber ausliess, wie wichtig es sei, die Organisatoren von oallesdichtmachen «in die Ecke zu treiben», weil sie «dem Feind in die Hände arbeiteten» – er habe erst gestern dazu ein Pamphlet veröffentlicht! Da gab es diesen Gatekeeper von Amazon, der mir vorhielt, dass meine Protagonisten viel zu wenig Migrationshintergrund oder schwul-lesbische Ausrichtung besässen. Da gab es diesen Themen-Scout von Netflix, der mir schrieb, dass er die Eingabe meines Buchs nicht verantworten könne, weil Netflix ein besonderes «Augenmerk auf Diversität und Genderausgewogenheit» lege.

Das schaurigste Erlebnis war jedoch die grosse Randomhouse-Leseshow mit zehn Autoren, auf der eine BR-Redaktorin die Bühne erklomm und ins Mikro belferte, dass es ein Unding sei, ein Line-up aus «weissen, alten, männlichen Schmalspurliteraten» aufzustellen, und wo denn Themen wie «Diversität», «Klimawandel» et cetera blieben – ohne ein Wort der Entgegnung seitens unseres Lektors.

Doch wie es unter Rock ’n’ Rollern heisst: It’s all over now, baby blue. Denn bald darauf wurde der bisherige Heyne-Randomhouse-Geschäftsführer entlassen und ein neuer Chef installiert, und dieser löste die Rock-’n’-Roll-Abteilung meines Lektors ohne Umschweife auf. Die Autoren mussten ihre Sachen packen, doch das Karussell aus Home-Office, Kaffeetrinken und dem Warten auf den Anruf der Konkurrenz blieb sich gleich.

«Schon wieder so unangepasst!»

Ich jedenfalls bin fertig mit diesen Leuten. Ich habe «während Corona» zwei Fortsetzungsromane der Kajal-Clique geschrieben, und zurzeit lauten die Ablehnungsformeln so: «Herr Wimmer, Ihr letztes Buch hat sich nicht so gut verkauft wie Ihre bisherigen. Wir persönlich glauben, Sie sind als Schriftsteller verbraucht. Und dann sind Ihre Nachfolgebücher schon wieder so unangepasst!»

Kurz gesagt: Ein Houellebecq wäre in Deutschland völlig undenkbar. Ein Strindberg, ein Mark Twain, ein Heinrich Heine würde heute vor den Verlagstoren lungern und um Verträge betteln, und jemand wie Cervantes müsste sich Verleger-E-Mails durchlesen wie: «Sehr geehrter Herr Cervantes, schreiben Sie uns doch bitte mal so was wie ‹Paella-Geschwader› oder ‹Tapas-Komplott›.»

Und eines darf man mir glauben: Die Fronten verlaufen schon lange nicht mehr zwischen links und rechts. Sie verlaufen zwischen Leuten, die sich alles bieten lassen, und Leuten, die das nicht tun. Man muss kein alter Kommunist sein wie ich, um die Dinge so zu sehen.

Dieser Text erschien erstmals am 23. August 2023.