Holger Richter, Psychologe in Dresden, untersucht in einem Buch, wieso es in unserer Gesellschaft immer mehr Diagnosen für psychische Erkrankungen gab und sich so viele Leute von diesen betroffen fühlen.

Im Interview mit der NZZ sagt Richter, einzelne dieser Diagnosen seien um mehrere Tausend Prozent gestiegen. Aber nicht alle Bevölkerungsgruppen seien gleichermassen überzeugt, an ADHS oder Hochsensibilität zu leiden. Psychisches Leiden sei für bestimmte Kreise «inzwischen Teil der Identitätsbildung».

Betroffen davon seien «vor allem junge, woke linke Frauen, die eine Opferkultur pflegen und sich gegenseitig in der Opferrolle bestätigen». In der ambulanten Psychotherapie seien sie klar am stärksten vertreten und würden auch schon mal sieben Diagnosen auf einmal ausgestellt bekommen.

Auf der anderen Seite des Spektrums ständen konservative Männer, die überzeugt seien, das Leben selbst in die Hand nehmen zu müssen und sich nicht auf den Staat verlassen wollen.

«Linksorientierte Menschen geben eher dem Staat die Schuld, wenn es ihnen schlecht geht, der Gesellschaft, dem Umfeld dem Kapitalismus», so der Psychologe. Aus dem Gefühl der Machtlosigkeit würden Symptome entwickelt.

Der «vielgeschmähte alte weisse Mann» sei weit weniger psychisch krank als junge linke Frauen. Diese würden bei der Behandlung zudem besonders viel Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme einfordern.

Dabei, so Holger Richter, stiessen sie auf viel Verständnis, weil in der Psychotherapie zu 80 Prozent Frauen tätig seien: «Frauen bestätigen sich untereinander mehr als Männer.» Männliche Therapeuten wiederum würden Diagnosen oft bestätigen aus Angst, sonst «als frauenfeindlich, rassistisch oder transphob zu gelten».