Am 15. Januar 2024 stellte sich Finanzminister Christian Lindner den wütenden Bauern am Brandenburger Tor und sprach als Minister der Ampel-Regierung zu Tausenden von Landwirten. Wir dokumentieren seine Rede im Wortlaut.

Liebe Landwirtinnen, liebe Landwirte, ich höre Sie, ich höre Sie. Und es ist ein beeindruckendes Bild. Tausende Landwirtinnen und Landwirte.

Ich habe Verständnis für den Protest, und mich beeindruckt auch dieses Bild. Tausende Landwirtinnen und Landwirte, die hier nach Berlin gekommen sind.

Mich beeindruckt auch der Zusammenhalt, den Sie hier zeigen. Ich sage sehr klar, Ihr Protest, er ist legitim und Ihr Protest ist friedlich.

Viele hatten Angst vor schrecklichen Bildern – auch ich hatte die Furcht vor schrecklichen Bildern. Aber davon ist zum Glück in den letzten Tagen nichts eingetreten, und dafür danke ich Ihnen.

Wir stehen hier heute vor dem Brandenburger Tor, einem Symbol unserer nationalen Einheit in Deutschland. Was für ein Unterschied zwischen den Bauern und den Klima-Klebern! Die Klima-Kleber haben das Brandenburger Tor beschmiert, die Bauern haben das Brandenburger Tor geehrt, und das ist ein Unterschied. Und deshalb erwarte ich von der Politik und von den Medien, von allen, die Befürchtungen geäussert haben, dass sie künftig stattdessen vor der linksextremistischen Unterwanderung der Klima-Kleber warnen und deren Sachbeschädigungen und Blockaden verurteilen, denn das ist gerechtfertigt.

Sie haben mich eingeladen, manche von ihnen auch, weil sie hören wollen, was ich zu sagen habe. Ich habe die Einladung von Herrn Rukwied gerne angenommen. Als Mitglied der Bundesregierung und auch persönlich. Vor vier Jahren habe ich hier schon mal gestanden bei einer Demonstration. Damals ging es um die Düngeverordnung von Julia Klöckner.

Damals habe ich Ihnen gesagt, dass unwissenschaftliche Ideologie überwunden werden muss. Damals habe ich Ihnen gesagt, dass ich für eine Agrarpolitik streite, die nachhaltiges Unternehmertum stärkt. Damals habe ich Ihnen gesagt, dass wir die Kluft zwischen Stadt und Land überwinden müssen. Die Menschen müssen wieder wissen, was es für eine Arbeit macht, was es für ein Aufwand ist und welch hohe Kosten es verursacht, Lebensmittel in Deutschland zu produzieren.

Vier Jahre später stehe ich wieder hier, diesmal als Finanzminister. Aber an meinen Überzeugungen hat sich nichts verändert. Die Landwirtschaft ist keine Branche wie jede andere. Sie fordert harte Arbeit. Sie sichert unsere Versorgung, sie schützt unsere Umwelt.

Sie verdient daher den Respekt der ganzen Gesellschaft. Und deshalb brauchen wir eine Agrarpolitik, die die wirtschaftliche Existenz der Betriebe sichert.

Ich will, dass die Politik den Landwirten vertraut, statt in die Betriebe hineinzuregieren.

Viele von Ihnen glauben, hier in Berlin würden nur irgendwelche Städter Politik gegen das Land machen. Ich komme aus dem Bergischen Land. Ich bin neben Wiesen, Feldern und dem Wald aufgewachsen. Als Chef des Bundesforstes kenne ich die Forstwirtschaft.

Ich bin Jäger. Ich bin schon fertig, wenn ich den Pferdestall einmal ausgemistet habe. Deshalb weiss ich, was das für eine Arbeit ist, es den ganzen Tag und jeden Tag zu machen. Und ich bin Vorsitzender einer Partei, die sich seit Jahrzehnten für den Mittelstand einsetzt. Ja, das ist so. Aber hier geht es heute nicht nur um meine Sympathie für Mittelstand und Landwirtschaft.

Es geht um einen Weg für unser Land insgesamt, wie wir aus einer schwierigen Situation gemeinsam herauskommen. Nach vielen Gesprächen habe ich ein Gefühl für ihre Situation. Ich kenne die steigenden Kosten für Futter, für Strom und für Kraftstoff. Ich kenne die immer weiter steigenden und teuren Umwelt- und Klima-Auflagen, die sie erfüllen müssen. Und ich weiss, dass immer mehr Ämter hineinsprechen und mitentscheiden wollen.

Ich kenne die Probleme, überhaupt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die noch bereit sind, hart mitzuarbeiten, und teile Ihre Empörung über Bevormundung.

Es muss enden, dass Juristen und Politologen Ihnen erklären, wie sie die Böden bewirtschaften, von denen ihre Familien seit Generationen leben.

Deshalb: Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrar-Diesels hier sind.

Es hat sich doch über Jahre und Jahrzehnte etwas aufgestaut, und deshalb lassen Sie uns darüber sprechen und nicht nur über den Agrar-Diesel.

Und jetzt will ich Ihnen etwas über meine Situation sagen. Der Staat hat über Jahre kaum Zinsen gezahlt, aber zwischen 2013 und 2019 immer neue Leistungen geschaffen.

Dann wurden während der Pandemie bis zum Energiepreisschock viele Staatshilfen gezahlt. Jetzt sind die Zinsen wieder normal. Von Ihrem Geld, von Ihrem Geld zahle ich jedes Jahr 40 Milliarden Euro Zinsen. Immer mehr Schulden zu machen, das wäre unverantwortlich.

Die Infrastruktur von Strassen bis Schulen wurde über Jahre vernachlässigt. Wir müssen investieren. Die Energiekosten sind zu hoch. Deshalb muss die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe sinken, also auch für Land und Forstwirtschaft.

Mit dem Krieg in der Ukraine sind Frieden und Freiheit in Europa wieder bedroht, sind Frieden und Freiheit in Europa wieder bedroht, weshalb wir wieder wie früher in unsere Sicherheit investieren müssen.

Wir sind in einer Phase, so schwierig und hart und kontrovers sie ist. Wir sind in einer Phase, in der wir neu über die Aufgaben dieses Staates miteinander sprechen müssen. Viele in der Politik wollen jetzt den leichten Weg gehen, also Steuern erhöhen. Von links bis rechts.

Lassen Sie sich davon nicht blenden. Eine höhere Einkommensteuer, die Zahlen am Ende Sie. Die zahlt der Mittelstand in Deutschland. Ich bin der Verwalter des Geldes der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist Ihr Geld. Und deshalb bin ich überzeugt: Die Politik muss wieder lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger ihr zur Verfügung stellen.

Dabei muss es fair zugehen. Es darf keine Sonderopfer geben. Da stimmen wir überein. Aber alle müssen ihren Beitrag leisten.

Die Staatshilfen und die für die Krise reduzierten Mehrwertsteuersätze laufen aus. Der Luftverkehr leistet einen Beitrag. Die Regierung selbst – hören Sie mir zu – die Regierung selbst leistet einen Beitrag. Sie haben gefordert, dass die Regierung auf Vorhaben verzichtet. Ich habe den Neubau des Finanzministeriums gestoppt, wir rücken enger zusammen. Und, meine Damen und Herren, es ärgert mich, dass ich vor Ihnen als dem fleissigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun. Soziale Reformen sind schwer, aber auch da gehen und müssen wir ran. Deshalb kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber. Deshalb sparen wir eine Milliarde Euro beim Bürgergeld, denn wir dürfen es nicht länger tolerieren, wenn Menschen sich weigern, für ihr Geld zu arbeiten. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, und wir beantworten sie.

Die Landwirtschaft ist keine Branche wie jede andere. Das weiss ich nur zu gut. Es gibt deshalb gute Gründe für staatliche Förderung. Aber es gibt auch staatliche Förderung. Aus Brüssel und Berlin wird die Landwirtschaft in jedem Jahr mit neun Milliarden Euro finanziert.

Im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler muss ich als Finanzminister daher immer fragen: Welche Mittel sind nötig, und welche Alternativen gibt es? Die Bundesregierung hat nach einer Prüfung festgestellt, es war zu viel, und es war zu schnell.

Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, auch in Europa, muss erhalten bleiben. Es soll und es darf kein Sonderopfer der Landwirtschaft geben, sondern nur einen fairen Beitrag.

Ihr Protest war also bereits erfolgreich, Herr Rukwied, die Bundesregierung hat Ihre Argumente gehört. Bei der Kraftfahrzeugsteuer ändert sich nichts. Das grüne Kennzeichen, es bleibt. Der Agrar-Diesel, er entfällt nicht sofort. Die Rückerstattung wird in den nächsten Jahren nur schrittweise abgebaut.

Sie mögen es anders sehen, das ist Ihr gutes Recht. Aber hier geht es in Wahrheit um viel mehr. Mit dem planbaren und nur schrittweisen Abbau haben wir Zeit gewonnen. Lassen Sie uns diese Zeit auch sinnvoll nutzen. Mir geht es nicht darum, die Landwirtschaft zu schwächen, sondern mir geht es darum, nachhaltiges Unternehmertum zu stärken. Mein Angebot ist, wenn der Agrar-Diesel ausläuft, dann müssen Zug um Zug auch die Belastungen für die Betriebe auslaufen. Dabei haben wir gemeinsame Interessen.

Bürokratieabbau entlastet Sie, kostet den Finanzminister aber nichts. Ich bin deshalb bereit, mit Ihnen über all das zu sprechen, was die Produktivität ihrer Betriebe stärkt. Ihre Gewinne schwanken zwischen den Jahren. Das müssen wir auch bei der Einkommensteuer berücksichtigen, beispielsweise die Tarifglättung bei der Einkommensteuer hatte die Vorgängerregierung nur befristet eingeführt. 2022 ist das ausgelaufen. Ich prüfe deshalb, ob wir die Tarifglättung oder eine steuerfreie Risikorücklage einführen können. Mehr noch. Wir brauchen einen planbaren Einsatz von Pflanzenschutz-Mitteln. Wir müssen uns öffnen für neue Züchtungs-Methoden, immer höhere Standards für die Tierhaltung sind unverhältnismässig. Die Flächen-Stilllegung kostet unnötige Ertragskraft. Biokraftstoffe sind klimafreundlich und müssen erhalten bleiben. Wir müssen die wirtschaftliche Substanz Ihrer Betriebe stärken. Das geht aber nicht nur mit staatlicher Hilfe. Wir können gemeinsam dafür sorgen, dass ihnen nicht immer neue Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

Sie haben die Sympathie und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Mein Angebot an Sie: Denken wir jetzt zusammen gross. Lassen Sie uns nicht nur über den Agrar-Diesel streiten, diese eine Massnahme, sondern lassen Sie uns über die Situation der Landwirtschaft insgesamt sprechen. Jetzt ist die Gelegenheit, die Menschen daran zu erinnern, dass man sich nicht nur in Umfragen an die Seite der Bäuerinnen und Bauern stellen kann, sondern auch beim Einkaufen. Man kann nicht für die heimischen Betriebe sein und gleichzeitig ausländische Billigprodukte kaufen. Jetzt ist nicht die Gelegenheit für neue bürokratische Standards und ideologische Vorgaben. Im Gegenteil.

Jetzt ist die Gelegenheit, EU-Pläne wie die Flächen-Stilllegung in Frage zu stellen. Jetzt ist die Gelegenheit, die seit Renate Künast überzogenen Umweltstandards zu diskutieren. Jetzt ist die Gelegenheit, ideologische Bevormundung der Betriebe zu beenden und wieder zu mehr Realismus zu kommen. Jetzt ist die Gelegenheit, neue Perspektiven für nachhaltiges Unternehmertum in der Landwirtschaft zu schaffen.

Bei dieser Debatte haben Sie mich an Ihrer Seite. Sie sind doch alle Macherinnen und Macher. Jeden Tag im Betrieb. Ich kann Ihnen heute nicht mehr staatliche Hilfe versprechen aus dem Bundeshaushalt. Aber wir können gemeinsam dafür streiten, dass Sie wieder mehr Freiheit und wieder mehr Vertrauen für Ihre Arbeit erhalten. Und das wäre eine Chance in dieser Lage, die man nicht ausschlagen sollte.