Um von Beginn an nicht in einen falschen Verdacht zu geraten: Ich bin dafür, dass jeder Priester, der in der katholischen Kirche sexuellen Missbrauch an einem ihm anvertrauten Kind begangen hat, auf alle Ewigkeit in der Hölle in seinem eigenen Saft schmort, bis das Ende der Zeit gekommen ist.

Dies gesagt, komme ich jetzt sofort zum Thema, der Untersuchung von Historikern und ihren weiblichen Kollegen in der katholischen Kirche der Schweiz, die tausend Fälle von sexuellem Missbrauch dokumentiert hat und damit und mit der Drohung, dass dies nur die Spitze des Eisbergs sei, an die Öffentlichkeit gelangt. Ich will mit einem Coming-out beginnen, dem eigenen. Der Missbrauch an mir geschah, als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, er führte zu meiner sexuellen Erweckung vor etwas mehr als siebzig Jahren.

Es war nicht in der katholischen Kirche. Es war dort, wo damals und gewiss auch heute noch die meisten Missbräuche an Kindern passierten, passieren, im familiären Umkreis, es war auch kein Priester, es war für mich damals die schönste Göttin der Welt, eine gute Freundin meiner Mutter.

Natürlich, das weiss ich heute auch, vielleicht war sie gar nicht derart blendend schön, wie sie mir in Erinnerung erscheint, vielleicht glorifiziert die Erinnerung ihre Erscheinung, vielleicht kommt hier der Effekt zum Tragen, dass man sich gar nicht an die Dinge erinnert, die vor so langer Zeit geschehen sind, sondern nur an die Erinnerungen daran, die sich dann im Laufe der Jahrzehnte nach den sich entwickelnden eigenen Wunschvorstellungen verändern. Manchmal frage ich mich sogar, ob dies wirklich so geschah oder ob das alles nicht einfach die Basis meiner sexuellen Entwicklung war, die Göttin von damals gar nicht existierte, nur in meinem von den Sinnen geleiteten Kopf lebte.

Also – sie war perfekt. Sie weckte in mir völlig unbekannte Gefühle, und es geschahen Dinge mit meinem Körper, die ich nicht erklären konnte. Ich tat, was mir die Natur befahl, der sie mit ihrer lockenden Stimme leise nachhalf. Ihr Geruch machte mich verrückt, so musste ein schweres Rauschgift wirken, von ihrem Geschmack auf der Zunge träume ich noch heute.

Okay, lassen wir das. Ich bin seither der grösste Bewunderer der Weiblichkeit, den ich kenne. Für mich ist die Frau das perfekte Wesen. Dem Mann in allen Belangen überlegen. Ob ich daran leide, mich dem weiblichen Geschlecht so unterlegen zu fühlen? Wer weiss das schon so genau. Ich lebe damit. Und es ist ein starkes Gefühl. Wer weiss, vielleicht dem Alkoholiker gleich, dem es so nach der Trunkenheit dürstet.

Es ist die Sexualität, die solche Dinge mit einem tut.

Wie auch immer. Aber, seit meiner perfekten Göttin bin ich immer etwas misstrauisch, wenn es um sexuellen Missbrauch geht. Ich denke, die Sexualität wirkt im Zusammenhang mit der Zeit, die seit dem Missbrauch vergangen ist, wirklich wie eine Droge, die stärker ist als die Wirklichkeit. Im Guten wie im Bösen.

Auch darum finde ich den neuen Totalangriff auf die katholische Kirche, der auf Vernichtung aus ist, sehr, sehr problematisch. Was soll sie denn tun? Ihre Sünden bezahlen? Es ist nicht die Kirche, die missbraucht hat, es sind die Menschen in dieser Kirche, die sie verraten haben. Welche Schuld diese tragen, wissen wir schon lange.

Und wenn es den neuen Priestern des Moralismus wirklich um das Problem selber ginge, müsste doch heute nicht nur die katholische Kirche untersucht werden und ihr Zölibat, das ihre Priester so anfällig macht. Eine ebenso gefährliche Situation entsteht zum Beispiel bei den Hunderttausenden von jungen Männern, die Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nordafrika, Zentralafrika, das Armenhaus der Welt ohne weibliche Begleitung verlassen haben und bei uns wie im Zölibat leben müssen.

So wenig Ehrlichkeit bei der katholischen Kirche, wenn es um Menschen und ihre Sexualität geht. So wenig Ehrlichkeit bei den Moralisten, die der katholischen Kirche mit der Sexualität an den Kragen wollen. Die eigene Moral zur Religion machen wollen.

Die brutale Antwort ist einfach – Sexualität ist stärker als die Ehrlichkeit. Damit müssen wir leben.

Die 3 Top-Kommentare zu "Ich bin dafür, dass jeder, der sexuellen Missbrauch an einem Kind begangen hat, auf alle Ewigkeit in der Hölle schmort. Aber den neuen Totalangriff auf die katholische Kirche finde ich problematisch"
  • teresa.hasler

    Sie haben offenbar den ‚Missbrauch‘ in ihrer Jugend genossen. Der Vergleich Ihrer Erfahrung mit einem Kindsmissbrauch ist befremdlich. Die Katholische Kirche hat über die Jahrzehnte und Jahrhunderte so viel ‚Dreck am Stecken‘ und hat sich nie um ehrliche Aufklärung bemüht. Ein Zusammenbruch dieser Institution wäre nicht schade. Nachher könnte eine ehrlichere Gemeinschaft aufgebaut und gelebt werden. Aber die Würdenträger werden zu alledem wie immer schweigen, bis niemand mehr darüber spricht.

  • amboss81

    Was die Kirche tun sollte? Die Fälle aufklären, die Täter entlassen, für Strukturen udn eine Kultur sorgen, wo sowas nie mehr vorkommt. Nulltoleranz-Politik. Law and order. Aber ja, das ist ja seit Jahrzehnten bekannt. Es kann sich also nicht um einen Totalangriff auf die katholische Kirche handeln. Man stellt nur zum x-ten Mal fest, dass sich nichts verändert hat. Nicht für jeden Betroffenen ist der Missbrauch ein so schönes Erlebnis wie offenbar für Herr Widmer.

  • Marwin Darx

    Warum sollen wir uns in familiären und sexuellen Dingen von alleinlebenden, zölibaten, zuweilen pädophilen Männern belehren lassen? Die katholische Kirche hat jeden moralischen Anspruch verspielt und sollte Busse tun. 10 Jahre lang alte Wollgewänder tragen, das Kirchengold verkaufen und die Opfer entschädigen, 12 mal nach Jerusalem pilgern zu Fuss. Dann können wir nochmals über die kath. Kirche reden.