Wer hätte gedacht, dass man sich seiner einmal wehmütig entsinnen würde? Jean-Claude Juncker, EU-Chef in jenen guten alten Zeiten, bevor Ursula von der Leyen zu dem Job kam wie die Jungfrau zum Kind.

Juncker war nicht perfekt, aber er war sowohl klug wie schlau, er besass gesunden Menschenverstand, und er nahm selten ein Blatt vor den Mund.

Soeben hat er alle derzeit aktiven Politiker beschämt. In einem Interview gab er zu, dass er ein freundschaftliches Verhältnis zu Wladimir Putin gehabt und sich sicher gewesen sei, dass der Kremlchef selbst an ein friedliches Miteinander in Europa geglaubt habe.

So wie alle anderen auch, die jetzt nichts davon wissen wollen und bussfertig behaupten, sie seien wohl «naiv» gewesen.

Nicht Juncker. «War ich naiv?», fragt er. «Nein». Es sei «wohlfeil», heute zu sagen: «Ihr hättet früher reagieren müssen.» Junckers Gegenfrage: «Wann wäre denn früher gewesen?»

Was, so spinnt er den Gedanken weiter, wenn wir Anfang der 2000er Jahre Knall auf Fall die Beziehungen zurückgefahren und massiv aufgerüstet hätten? «Wir wären mit Hunden von den öffentlichen Plätzen in Europa gejagt worden.»

Juncker erinnert lediglich daran, was die Realität war, auf deren Grundlage man Realpolitik machte.

«Aus vielerlei Gründen» habe sich dann Putin «in eine andere Richtung bewegt», gesteht er zu. Aber: «Einige wurden vom Westen verursacht.»

So viel Einsicht wünschte man sich von seiner Nachfolgerin. Aber wahrscheinlich darf auch sie erst dann den Mund aufmachen, wenn sie nichts mehr zu sagen hat.