Mehr als 400 Sitze für die linke Labour Party, um die 120 für die konservativen Tories. Das Wählerverdikt der britischen Unterhauswahl ist a prima vista klar.

Nicht aber bei näherer Betrachtung: Labour gewann lediglich mit einem Vorsprung von 10 Prozent der Wählerstimmen; das Mehrheitswahlrecht verstärkte den Swing unverhältnismässig stark.

Vor allem aber sehen sich Labour-Vertreter am linken beziehungsweise die Tories an ihrem rechten Flügel herausgefordert. Bei Labour fällt auf, dass die muslimische, oftmals antisemitische Fraktion massiv zugelegt hat.

Offizielle Labour-Kandidaten fielen in den Zuwanderungs-Hochburgen gegen Pro-Hamas-Aktivisten durch. Auch der notorische Anti-Israel-Veteran Jeremy Corbyn schaffte in Nord-London seine Wiederwahl glorios.

Ähnlich sehen sich die Tories herausgefordert; ihr zentristischer Kurs unter Ex-Premier Rishi Sunak hat sich nicht ausgezahlt. Sie mussten der nationalistischen Partei Reform UK unter Nigel Farage fast ein halbes Dutzend Sitze zugestehen.

Die Tories müssen sich auf ihre traditionellen Werte zurückbesinnen, wollen sie keinen Absturz in die Bedeutungslosigkeit erleiden. Ein Schelm, wer an den letzten Wahlsieg der Konservativen unter dem charismatischen Brexit-Boris Johnson zurückdenkt.

Wiederum nur auf den ersten Blick kann sich die EU in Brüssel über den Ausgang dieser Wahl freuen. Zwar ist Premier Keir Starmer ein «Europhiler». Aber er wird unter dem Druck des linken Flügels seiner Partei weiterhin auf die Brexit-Eigenständigkeit pochen.

Und die im Parlament verbliebenen Tories werden sich stets an ihre abgewählten Brüssel-Freunde in der Fraktion erinnern, die jetzt zu Hause sitzen und Däumchen drehen.