«Zwischen den Stühlen», «Kuscheln mit dem Kriegstreiber», «Putin kichert mit Modi» – so oder ähnlich unfreundlich kommentieren die deutschen Medien den Besuch des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi in Moskau und seinen Aufruf zu einem Frieden auf dem Verhandlungsweg.

Den entscheidenden Punkt traf dabei allerdings ein grosses deutsches Onlineportal, das Modi vorwarf, dass er «von wertegeleiteter Aussenpolitik so weit entfernt ist wie Putin von einem Rückzug aus seinem Nachbarland».

Stimmt. Und genau hier liegt das Problem der deutschen Aussenpolitik und der meisten Journalisten, die sich in Deutschland mit Aussenpolitik befassen: Man ist unfähig zum Pragmatismus, sondern betreibt lieber eine «wertegeleitete Aussenpolitik» – mit der man nichts erreicht und Deutschland schadet.

Dabei ist Aussenpolitik ihrer Definition nach der Versuch, die Interessen von Ländern auszutarieren. Denn jedes Land hat legitime Interessen, die einen Interessenausgleich ermöglichen.

Schwieriger und ungleich giftiger wird die Atmosphäre, wenn Werte ins Spiel kommen. Denn Interessen sind neutral. Werte jedoch haben einen Wert – oder eben nicht. Werte sind wertvoll. Sie versetzen daher denjenigen, der sie hat (oder zu haben glaubt), in eine moralische höherstehende Position.

In der Aussenpolitik ist diese moralische Arroganz verhängnisvoll. Denn welches Land möchte sich gern von einem anderen moralisch belehren lassen? Das gilt insbesondere für ehemalige Kronkolonien wie Indien. Das Letzte, was man dort von Europäern hören möchte, sind moralische Zurechtweisungen.

Dass Indien sich weder auf die Seite eines schwächelnden Westens noch auf die eines ökonomisch und technisch rückständigen Russlands schlagen will, ist einleuchtend. Ebenso wie sein Versuch, von beiden Seiten das Beste zu bekommen: Moderne Technologie hier, billige Rohstoffe dort. Wer das Indien vorwürft, ist von massloser Arroganz und mit gefährlicher strategischer Blindheit geschlagen.