Die Ausgangslage vor dem ersten direkten Schlagabtausch war klar. Mit Trump und Harris standen sich zwei Kontrahenten gegenüber, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Beide haben im Weissen Haus regiert – mit Resultaten, die sich unterscheiden wie Tag und Nacht.

Ob Wirtschaft, Migration oder Aussenpolitik: Amerika stand unter Trump besser da als jetzt unter Harris und Biden.

Trumps Aufgabe bei der TV-Debatte von Dienstagnacht war also klar: Ruhe bewahren und Harris mit den Fakten konfrontieren. Dann würde sie ihm nicht das Wasser reichen.

Wie hat sich die Neokandidatin geschlagen?

Kamala Harris machte das Beste aus ihrer Schieflage und gewann nach Punkten.

Sie blieb ruhig, setzte eine Seehundmimik auf und spielte auf den Mann. Sie tat dies in der Rolle, die sie als Generalstaatsanwältin von Kalifornien jahrelang einstudiert hatte: Sie behandelte Trump als Angeklagten, reizte ihn mit seinen juristischen Problemen, seiner Statur in der Welt.

Sie nannte Wladimir Putin «einen Diktator, der Sie (Trump) zum Mittagessen verspeisen würde». Über die Wahl 2020 sagte sie: «Donald Trump wurde von 81 Millionen Menschen gefeuert.»

Und sie invadierte sein Terrain und griff Trump an, wo es ihn am meisten schmerzt: bei seinen Fans. «Ich lade Sie ein, eine von Donald Trumps Kundgebungen zu besuchen», sagte Harris zum TV-Publikum. «Sie werden feststellen, dass die Leute seine Kundgebungen aus Erschöpfung und Langeweile frühzeitig verlassen.»

Offensichtlich haben Harris und ihr Team Trump genau studiert. Anders als Hillary Clinton und Joe Biden hat sie effektiv an Trumps Ego gekratzt. Und er hat den Köder geschluckt. Statt cool zu bleiben und sofort auf die Kernthemen zu fokussieren, begann er sich gereizt zu rechtfertigen. Das wirkte wenig souverän. Besonders im kleinen Segment der Wechselwähler in der Mitte, die die Wahl entscheiden werden.

Harris weiss: Sie kann nur gewinnen, wenn sie Trump als Schreckgespenst aufleben lässt. Und genau das hat sie getan. Sie stellte ihn als Gefahr für die Demokratie dar. Als Spalter der Gesellschaft. Dabei tat sie genau das, was sie ihm vorwirft. Sie streute Zwietracht im Volk.

Inhaltlich hat Harris kümmerlich wenig zu bieten. Auf die Einstiegsfrage zur Wirtschaft, «Glauben Sie, dass es den Amerikanern heute besser geht als noch vor vier Jahren?», sonderte sie Plattitüden ab.

Weil es nichts Positives zu sagen gibt, fordert Harris das Volk auf: «Lasst uns das Blatt wenden.» Ein Blatt, dass sie selbst beschrieben hat.

Sie stiehlt sich aus der Verantwortung, indem sie auf «Träume» setzt: «Ich glaube an den Ehrgeiz, die Bestrebungen und die Träume des amerikanischen Volkes.»

Und worauf basieren diese? «Ich habe tatsächlich einen Plan zum Aufbau einer opportunity economy, wie ich sie nenne.» Was genau ist Harris’ «Wirtschaft der Möglichkeiten»? Ein parfümiertes Nichts, verpackt in wolkige Worte.

Hier setzte Trump zu wenig nach. Er verpasste es, Harris’ wahres Gesicht unter ihrer «Kamaflage» zu entblössen. Seine Lage wurde zusätzlich erschwert durch die Debattenleitung von ABC News, die erkennbare Schlagseite zu Harris’ Gunsten offenbarte.

Seinen besten Moment hatte Trump im Schlussplädoyer: «Sie (Harris) sagt, sie werde all diese wunderbaren Dinge tun. Warum hat sie es nicht getan? Sie ist seit dreieinhalb Jahren im Amt. Sie hatte dreieinhalb Jahre Zeit, das Grenzproblem zu beheben. Sie hatte dreieinhalb Jahre Zeit, Arbeitsplätze zu schaffen und all die Dinge, über die wir gesprochen haben. Warum hat sie es nicht getan?»

Genau dies ist die Stossrichtung, die Trump einschlagen muss, um die entscheidenden Wähler zu mobilisieren. Er hat noch 54 Tage Zeit.