Weltwoche: Herr Bolton, rechnen Sie mit einem langen Krieg?

John Bolton: Ja. Er wird sich höchstwahrscheinlich über Wochen und Monate hinziehen.

Weltwoche: Putin hat bereits mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht, zumindest andeutungsweise. Ist das ernst zu nehmen?

Bolton: Ich glaube nicht. Er hat wohl geblufft, als er sagte, er werde den Alarmstatus seiner Atomstreitkräfte erhöhen. Unsere Geheimdienstler haben vor ein paar Wochen öffentlich ausgesagt, dass sie keine Beweise für eine Änderung des Status der nuklearen Streitkräfte gesehen haben. Und er weiss, dass der Einsatz von Massenvernichtungswaffen einem Selbstmord gleichkäme.

Weltwoche: Weil dann US-Präsident Joe Biden eingreifen würde?

Bolton: Nicht von sich aus. Aber ich denke, dass die Vertreter im Kongress ihm auf einer parteiübergreifenden Basis klarmachen würden, dass er etwas unternehmen muss. Ich will zwar nicht vorhersagen, was Biden tun würde. Aber 99,9 Prozent aller Republikaner und 90 Prozent aller Demokraten im Kongress würden ein Eingreifen fordern.

Weltwoche: Die Parlamentarier könnten Biden aber nicht dazu zwingen …

Bolton: Doch, sie können ihn politisch demütigen. Die Demokraten sind sehr besorgt, dass sie bei den Wahlen im November erhebliche Niederlagen im Kongress erleiden werden.

Weltwoche: Sehen Sie eine Chance, dass Verhandlungen zu einem Ende des Kriegs führen werden?

Bolton: Derzeit leider nein. Die Russen bestehen darauf, dass Kiew die Annexion von Gebieten anerkennt, was für Wolodymyr Selenskyj offensichtlich nicht akzeptabel ist. Seine Regierung würde stürzen. Nach all dem Widerstand, den die Ukraine bisher geleistet hat, wären Zugeständnisse in diesem Moment politisch unglaublich schädlich, zumal die ukrainische Armee bisher deutlich besser abgeschnitten hat, als alle erwartet hatten. Aber auch Putin hat wenig Spielraum für Zugeständnisse in Verhandlungen.

Weltwoche: Weil das nach einer Niederlage aussehen würde?

Bolton: Putin muss irgendeine Art von militärischem Sieg erringen. Ich weiss zwar nicht, wie der aussehen könnte. Aber wenn Putin dem Rest der Welt zugesteht, dass die russische Armee nicht einmal die Ukrainer besiegen kann, sinkt das Ansehen der russischen Streitkräfte unter null, wenn wir mal vom nuklearen Potenzial Russlands absehen. Das hätte enorme Auswirkungen auf die Beziehungen Russlands zu China und zu allen anderen angrenzenden Ländern, einschliesslich den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Deshalb muss Putin etwas vorweisen, um sagen zu können, «wir haben einen grossen militärischen Sieg errungen». Das ist ihm bisher nicht gelungen. Es sieht derzeit vielmehr nach einer katastrophalen Niederlage der Russen aus. Die Russen können aber nicht zurückstecken, ohne die internationale Wahrnehmung ihrer militärischen Fähigkeiten aufs Spiel zu setzen. Deshalb holen sie jetzt Söldner aus Georgien, Syrien und Libyen ins Land. Und ich kann ihnen versichern: Diese eingekauften Soldaten werden keinen einwöchigen Crashkurs über die Genfer Konvention absolvieren.

Weltwoche: Wie beurteilen Sie das Verhalten Bidens und der Nato in der Ukraine-Krise?

Bolton: Die Nato, vor allem aber Biden haben während Monaten immer wieder betont, westliche Truppen würden auf keinen Fall in der Ukraine eingreifen, was auch immer geschehen würde. Das war ein Riesenfehler. Einen Gegner wie Putin darf man nicht in die eigenen Karten blicken lassen.

Weltwoche: Biden ist zudem auch wegen seines Sohnes Hunter gefordert.

Bolton: Sie sprechen die Laptop-Affäre an. Es ist schon eine ziemlich bemerkenswerte Geschichte, dass die grossen Medien in den USA die Laptop-Affäre von Hunter Biden monatelang so behandelt haben, als wäre sie nichts als Phantasie. Wenige Tage vor den Wahlen 2020 hätte die Publikation dieser Geschichte Biden wohl geschadet, deshalb schwiegen sich die Medien darüber aus. Erst jetzt berichten die grossen Zeitungen darüber, die Washington Post sogar auf drei Seiten. Aber sie sagen nicht, hey, es tut uns leid, dass wir so spät darüber berichten, denn die Medien geben solche grossen Fehler normalerweise nicht zu.

Weltwoche: Wird die Affäre Auswirkungen auf Joe Biden haben?

Bolton: Zum jetzigen Zeitpunkt glaube ich das nicht, obwohl Hunter den Namen seines Vaters immer wieder ausgespielt hat. Falls aber Hunter angeklagt wird, stellt sich die Frage, ob sein Vater mitschuldig ist.

Weltwoche: Sind die Informationen, die der Laptop enthält, ein Sicherheitsrisiko für die USA?

Bolton: Vor einigen Monaten wurde viel darüber spekuliert, ob es sich um eine russische Informationsbeschaffung handle. Aber es gibt keine Beweise dafür. Sicher ist bloss: Hunter Biden hatte keinen Grund, geheime Informationen zu haben.