Das hätten sich nicht einmal die ärgsten Russen-Hasser träumen lassen: Russen marschieren gegen Russen, Aufständische nehmen den Kreml ins Visier, und endlich, endlich wankt Putin.

Und jetzt? Stürzt der Diktator? Bricht die Demokratie aus? Wird Nawalny aus der Haft entlassen und als Präsident installiert?

So hätten es einige im Westen gerne. Doch das Drehbuch dürfte einer hundert Jahre alten Vorlage folgen: dem vier Jahre dauernden russischen Bürgerkrieg.

Schon jetzt zeichnen sich Parallelen ab. Schon jetzt lassen sich verschiedene bewaffnete Gruppen ausmachen.

Die regulären Streitkräfte. Ihre Führung hat kaltblütig Soldaten verheizt, aber nicht mal militärische Erfolge vorzuweisen.

Die Wagner-Gruppe, deren Führer Jewgeni Prigoschin die Blutmühlen mit eigenen Augen gesehen hat und Rache will.

Die neofaschistischen russischen Legionäre, die an der Grenze ihr Unwesen treiben.

Die Tschetschenen-Kämpfer, die für Moskau kämpfen, aber letztlich eigene Ziele verfolgen.

Das allein reicht für eine Bombe, gegen deren Sprengkraft die jugoslawischen Bürgerkriege ein Knallbonbon waren. Denn in Russland können viele weitere Akteure hinzukommen. Und in Jugoslawien gab es keine Atomwaffen.

Das Schlimmste scheint fürs Erste abgewandt. Aber es war ein Warnschuss – nicht nur für Putin, sondern auch für den Westen. Der sollte sich überlegen, ob man wirklich ihn gegen das Chaos eintauschen will.