Zwei Jahre nach Beginn des Ukraine-Krieges (Februar 2022) scheint die russische Wirtschaft immer noch in Fahrt zu sein.

Nach einem Minus von 2 Prozent im ersten Kriegsjahr wurde für 2023 ein reales BIP-Plus von 3 bis 4 Prozent angekündigt. Viele Medien sind der Russland-Propaganda aufgesessen und haben diese Prognosen übernommen. Nach neusten Schätzungen werden es aber lediglich zwischen 1,3 Prozent (OECD) und 2,2 Prozent (IWF) sein. Für 2024 gehen die OECD und der IWF von 1,1 Prozent Realwachstum aus.

Vom Ukraine-Krieg profitiert vor allem die eigene Rüstungsindustrie. Moskau hat die Wirtschaft aber auch mit subventionierten Unternehmenskrediten und staatlich verbilligten Hypotheken gestützt. Deshalb steht selbst das bescheidene Wachstum auf schwachen Füssen, denn der Rüstungsboom und die Kriegswirtschaft tragen kaum zum Wohlstand der Bevölkerung bei. Zudem hat die Inflation seit Ende 2000 bis heute die Kaufkraft der Bevölkerung um rund 35 Prozent geschmälert.

Die Ukraine leidet wesentlich stärker als Russland, denn der Krieg findet auf ukrainischem Territorium statt, und der personelle und materielle Aufwand für die Verteidigung des Landes belastet die Wirtschaft wesentlich stärker. 2022 soll das reale BIP gemäss IWF um 29 Prozent gefallen sein und sich im letzten Jahr nur um 2 Prozent erholt haben. Bevölkerungsmässig war Russland zu Kriegsbeginn mit 146 Millionen Einwohnern gegenüber 41 Millionen der Ukraine rund 3,6-mal grösser. Das nominelle BIP Russlands erreichte 2023 jedoch das Elffache jenes der Ukraine. Im Vergleich zur Schweiz ist die russische Volkswirtschaft heute dennoch nur etwas mehr als doppelt so gross. Dass die russische Wirtschaft trotz Krieg nicht stärker eingebrochen ist, verdankt sie vor allem der EU.

Das Wohlergehen der achtgrössten Volkswirtschaft der Welt hängt fast ausschliesslich von Exporten von Erdöl und Erdgas, Dünger, Getreide, Gold, Diamanten und Metallen ab. Der Aussenhandel der EU mit Russland ist eingebrochen, aber noch nicht vollständig zum Erliegen gekommen. Seit 2002 bis 2023 hat die EU Güter für 3000 Milliarden Euro aus Russland eingeführt und für 1650 Milliarden Euro nach Russland exportiert.

Russland erzielte einen massiven Handelsüberschuss von 1350 Milliarden Euro. Besonders im ersten Kriegsjahr schnellten die Russland-Importe der EU erstmals über die 200-Milliarden-Euro-Marke, während die Exporte mit 56 Milliarden Euro wegen der Sanktionen des Westens auf den tiefsten Stand seit 2005 zurückfielen. Deshalb resultierte 2022 für Russland ein Rekordüberschuss von 146 Milliarden Euro, etwa das Dreifache früherer Überschüsse. Mit diesem Nettoertrag der Russen dürfte die EU wohl zum grössten Finanzierer des russischen Krieges gegen die Ukraine aufgerückt sein.

Aber 2023 sind die russischen Exporte auf 51 Milliarden Euro eingebrochen, der Überschuss gegenüber der EU betrug nur noch 12 Milliarden Euro. Die EU-Ausfuhren nach Russland erreichten 2023 mit 38 Milliarden Euro noch etwa die Hälfte der jährlichen Exporte vor dem Krieg. Damit ist noch lange nicht nachgewiesen, dass die Sanktionen des Westens wirken, denn einige Russland-freundliche Staaten sind mit Umgehungsgeschäften in die Bresche gesprungen.

So hat China seit 2021 bis 2023 den Handel mit Russland um rund 60 Prozent gesteigert. Mit 111 Mrd. US-Dollar Exporten nach Russland und 129 Mrd. US-Dollar Einfuhren aus Russland wurde 2023 ein neues Rekordhandelsvolumen erzielt. Damit erzielte Russland gegenüber China einen Handelsüberschuss von 18 Milliarden. Fast sämtliche russischen Erdölexporte gingen nach China und Indien, die in der Folge auf Erdölbezüge aus anderen Ländern verzichten oder das importierte Erdöl weiterverkaufen konnten.

Die Statistiken der Umgehungsländer sind allerdings teils weder erhältlich noch vertrauenswürdig und die Gegenkontrolle mit russischen Daten unmöglich, weil das Land seit Kriegsbeginn die Publikation der detaillierten Aussenhandelszahlen eingestellt hat. Die Rubel-Zahlungspflicht von Energiebezügen hat temporär zu einem Höhenflug des Rubels geführt, der aber inzwischen wieder verflogen ist. Der Rubel ist seit Ende 2021 gegenüber dem Franken um 22 Prozent gefallen.

Probleme zeichnen sich am russischen Arbeitsmarkt ab, weil wohl eine Million Menschen im wehrfähigen Alter für den Ukraine-Krieg eingespannt sind, aber auch weil viele meist gebildete und reiche Russen ins Ausland geflohen sind, um sich der Dienstpflicht zu entziehen.

Dazu kommt, dass die Einwohnerzahl bereits nach dem Mauerfall zu schrumpfen begann, denn die Geburtenraten in Russland sind seit Jahren sehr tief. Wegen des Arbeitskräftemangels (Arbeitslosenrate Dezember 2023: 3 Prozent) und weil viele Armeeangehörige im Ukraine-Krieg mit mindestens 2177 Euro pro Monat weit mehr als der Durchschnitt der zivilen Beschäftigten mit 1200 US-Dollar verdienen, sind die Löhne angestiegen.

Das Einfrieren der Zentralbankreserven im Ausland hat Russland zwar getroffen, und die Beschlagnahmung von Vermögen der russischen Oligarchen könnte das Land weiter schwächen, aber das Land verfügt auch über grosse Goldbestände und Bankguthaben in Russland-freundlichen Ländern, die sich nicht an die westlichen Sanktionen halten. Gemäss der russischen Notenbank verfügt Russland aber per Ende 2023 auch über Schulden von rund 327 Milliarden Dollar im Ausland, die bei einer Staatspleite wohl nicht mehr bedient würden. Selbst wenn der Erdölpreis unter 50 US-Dollar fallen sollte, dürften die liquiden Mittel Russlands ausreichen, den Krieg während weiterer zwei Jahre zu finanzieren. Auch punkto positive Wirtschaftsmeldungen aus Moskau gilt: Im Krieg wird hüben und drüben gelogen.