Dieser Text erschien zuerst auf dem Onlineportal Nachdenkseiten.de.

«Wir stehen hier im ‹Unbroken Center›, das ist ein Zentrum für Menschen, die Gliedmassen verloren haben, also Arme oder Beine, und die hier sowohl Prothesen angepasst bekommen als dann auch lernen, damit zu leben, also ihren Alltag zu bewältigen.» Das sind die Worte von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) – vorgetragen in einem aktuellen Video, aufgenommen in der Ukraine. Schulze agiert an einem Ort, der ein unfassbares menschliches Leid zeigt, als ginge es um die Anmoderation einer neuen Attraktion in einem Freizeitpark. Der hohe Grad emotionaler Abgebrühtheit innerhalb der politischen Klasse ist erschreckend.

Manchmal ist es schwer, die richtigen Worte zu finden. Das Video mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze macht sprachlos, ja fassungslos. Dem Betrachter zeigt sich eine Frau, die mit einem Lachen im Bild zu sehen ist und wie eine Reporterin agiert. Gut gelaunt steht sie draussen. Das Gras ist grün, der Himmel ist blau, und die Sonne scheint. Mit Freude zeigt sie auf ein Plastikarmbändchen, das sie am Handgelenk trägt. Darauf steht: «Unbroken Center», frei übersetzt also: Zentrum der Ungebrochenen.

Die reine Bildsprache vermittelt den Eindruck: Es geht in dem Video um Spass und Heiterkeit. Doch weit gefehlt. Mit Amüsement hat der Ort, an dem sich Schulze befindet, nichts zu tun. Es ist ein Ort des Grauens. Es ist ein Ort, wo Menschen allein nur durch ihren Körper vom Wahnsinn und vom Horror des Krieges erzählen. Was diese Menschen, Soldaten, erlitten haben, als ihre Arme und Beine aufgrund von schwersten Kriegsverletzungen amputiert werden mussten, kann man sich kaum vorstellen. An diesem Ort taucht Schulze auf. Und damit sind wir wieder bei dem, was sprachlos macht.

Journalisten müssen von Berufs wegen die richtigen Worte finden. Sprachlos dürfen sie nicht sein. Und doch … Wie will man einen Kommentar zu einer Politikerin verfassen, die vor einem Ort für kriegsversehrte Menschen augenscheinlich so heiter agiert, als ginge es um die Anmoderation einer neuen Attraktion in einem Freizeitpark? Welche Worte soll man an eine Politikerin richten, die unermessliches menschliches Leid direkt vor ihren Augen hat, aber noch immer nicht sieht?

Ein billiges Armband mit einem noch billigeren Aufdruck. «Ungebrochen» – das lässt sich leicht sagen für jemanden, der nicht an der Front war und noch über seine Gliedmassen verfügt. «Ungebrochen» – welch ein in dem veranschlagten Zusammenhang furchtbar propagandistisch aufgeladener Begriff. «Ungebrochen» – ja, das klingt gut. Doch wie weit trägt dieser Begriff in der Realität? Bis der Kameramann die Aufnahme stoppt und die Ministerin zum Essen geht? Bis die Versehrten abends in ihr Bett humpeln und aus Angst vor Albträumen erst gar nicht schlafen wollen?

Bisweilen wirft man Politikern vor, dass sie «zu weit» weg von Ereignissen und Bürgern seien. Wären sie näher am Leben der «normalen» Leute, wäre ihre Politik eine andere. Doch es ist viel schlimmer. Es gibt Politiker, die haben das Leid exklusiv und direkt vor ihren Augen und machen trotzdem so weiter wie gehabt.

«Ukrainerinnen und Ukrainer lassen sich nicht entmutigen» – zwitschert die SPD-Politikerin auch noch auf der Plattform X zu dem Video. Wie lange war Schulze an diesem Ort? Wie viele Stunden, Tage, Wochen hat sie mit denjenigen verbracht, deren körperliche Narben nun durch Prothesen verdeckt werden?

«Ukrainerinnen und Ukrainer lassen sich nicht entmutigen» – dieser erbärmlich billige Spruch ist Abbild einer erbärmlich dreckigen Politik, die letztlich immer wieder in Kriegen zu jenen Schäden führt, die hier in dem Video zu sehen sind. Politiker von Format, die gewillt wären, das gezeigte menschliche Leid in Demut zu erfassen, würden sich öffentlich fragen: Was habe ich, was hat meine Politik, was hat meine Partei vielleicht zu diesem Grauen beigetragen? Wäre das Leid dieser Frauen und Männer zu verhindern gewesen?

Stattdessen: Selbstdarstellung und Durchhalteparolen. Der Grad an emotionaler Abgebrühtheit innerhalb der politischen Klasse ist erschreckend. Eine Politik, die sich für die Unterstützung von Prothesenzentren für Kriegsversehrte selbst feiert, ist Abbild politischer Perversion. Wenn Prothesen zum Sinnbild fehlender Diplomatie geworden sind, ist das politische Desaster offensichtlich.

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Demnächst erscheint von ihm: «Kriegstüchtig! Mobilmachung an der Heimatfront».