Am Schluss stand er da – und klatschte die Hände fassungslos über dem Kopf zusammen. Er war wohl stolz; aber trotzdem bitter enttäuscht. Er freute sich über eine Sternstunde in seiner Trainerlaufbahn – und ärgerte sich über die unabwendbare Logik des Fussballs.

Urs Fischer, der wohl bodenständigste und authentischste Fussball-Trainer der Welt, hatte erlebt, wie seine Fussballarbeiter von Union Berlin im riesigen Bernabéu-Stadion gegen Real Madrid 94 Minuten lang mit kompromissloser Leidenschaft, aufopferndem Kampfgeist und einer anständigen Portion Glück das 0:0 gehalten hatten.

Der Kult-Klub aus dem Berliner Stadtteil Köpenick war eine Fusslänge von der Sensation entfernt. Und der Trainer hatte ein weiteres Kapitel Fussballgeschichte eigentlich schon geschrieben.

Fischer, der Fussball-Handwerker aus dem Zürcher Arbeiterviertel Affoltern, wäre der erste Schweizer Coach gewesen, der dem grössten und berühmtesten Klub der Welt einen Punkt abgeknöpft hätte. Das wäre gewesen wie Geburtstag, Weihnachten und das Pokal-Finale zusammen.

Doch am Schluss blieb nur der Konjunktiv.

An diesem Abend dauerte das Spiel 90 Sekunden zu lange. Mit dem 32. Torabschuss schafften die Madrilenen den Siegestrainer. Nach einem Eckball und einer letzten Pingpong-Situation im Berliner Strafraum stand Bellingham allein vor dem Tor – und drückte den Ball irgendwie über die Linie.

Real Madrid, der achtfache Champions-League-Sieger, dem allein in diesem Sommer ein Transferbudget von 425 Millionen Franken zur Verfügung stand und dessen Trainer Carlo Ancelotti für eine einzige Krawatte wohl mehr ausgibt als Fischer für den Inhalt seines ganzen Kleiderschranks, jubelten über das späte Glück.

Doch eigentlich standen die wahren Sieger auf der anderen Seite des Platzes – und mit ihnen die 4000 angereisten Fans aus Berlin. Allein dass Union Berlin (Budget 53 Millionen) auf der Champions-League-Bühne auftreten darf, ist mitunter eine der grössten Sensationen der Fussball-Geschichte.

Und dass Urs Fischer, der sowohl beim FC Zürich als auch beim FC Basel den Ansprüchen nicht genügte, dieses Fussballmärchen in Deutschland schreibt, muss dem einen oder anderen Schweizer Klubmanager (und Präsidenten) schwer zu denken gehen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Sieger der Herzen: Trainer Urs Fischer steht mit Union Berlin vor einer weiteren Sensation, verliert dann aber gegen Real Madrid tief in der Nachspielzeit"
  • wieland schmied

    In der Tat, beide, Mannschaft und Trainer sind für mich Sympathieträger und Könner erster Güte. Beiden wäre der 'kleine Erfolg' eines Unentschieden gegen diesen Gegner zu wünschen gewesen. Hut ab, daß, was konstantant von Union und Urs Fischer geboten wird ist - Spitze.

  • herby51

    TOP Leistung Urs! Ganz herzliche Gratulation.Du hast das Team super eingestellt,das Tor in der übertiebenen Nachspielzeit war einfach nur schade!

  • vfb1893

    Dass das Tor in der letzten Minute fiel, war reiner Zufall. Nur mit Mauern kann man gegen eine Mannschaft wie Real Madrid nicht bestehen. Das hatte Urs Fischer schon im Vorfeld gesagt. Die Berliner haben in der letzten halben Stunde nicht mal mehr versucht, den Ball in den eigenen Reihen zu halten.