Der Urnengang im bevölkerungsmässig viertgrössten EU-Land gilt als wichtiger Gradmesser für die nationale Parlamentswahl, die eigentlich erst für Dezember 2023 vorgesehen war. Der linke Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE), der in Madrid eine Minderheitsregierung anführt, reagierte auf die Wahlniederlage überraschend mit vorgezogenen Neuwahlen am 23. Juli, mitten in der touristischen Hochsaison. Alle 350 Sitze im Kongress und 208 der 265 Sitze im Senat stehen zur Erneuerung an.

Bei den Wahlen kamen die Sozialisten in den rund 8100 Kommunen nur noch auf einen Wähleranteil von rund 28 Prozent (minus 1,2 Prozentpunkte). Auch ihr Koalitionspartner Podemos erlitt in den Regionen Stimmenverluste. In Madrid gingen sämtliche ihrer zehn Mandate im Regionalparlament flöten. Wahlgewinner war die konservative Volkspartei Partido Popular (PP) von Alberto Núñez Feijóo. Sie erreichte rund 31,5 Prozent (plus 9,3 Prozentpunkte). Die PP stellt nun in acht der zwölf Regionen die Regierung, zuvor lediglich in zwei. Die PP wird auch in fünf der sechs grössten Städte den Bürgermeister stellen, im Alleingang oder mit Hilfe der Vox.

In Spaniens Zweikammersystem hält die linke PSOE im Senat 113 der 263 Sitze, wozu weitere 35 Mandate von Parteien kommen, die die PSOE-Regierung tolerieren.

Zusammen errechnet sich eine Mehrheit von 56 Prozent der Sitze.

Im Unterhaus mit 349 Sitzen entfallen 153 Sitze (davon 120 PSOE und 33 Podemos) auf die Regierungskoalition. Diese wird unterstützt von weiteren vier Parteien, die es zusammen auf 32 Mandate bringen. Bis anhin kam die Opposition auf 163 Mandate (PP 88, Vox 53, übrige 23). Das sind 47 Prozent der Sitze.

Die Regierung von Pedro Sánchez hat zwar die Corona-Krise relativ unbeschadet überstanden, nicht zuletzt auch dank EU-Milliardenhilfen an die Wirtschaft. Im Vergleich zu anderen EU-Ländern hat Spanien die Inflation mit noch 2,9 Prozent im Mai dank relativ günstigen Energiepreisen gut gemeistert. Aber punkto Arbeitslosigkeit liegt Spanien mit einer Rate von 12,8 Prozent – das sind etwas über 3 Millionen Arbeitslose – mit Abstand an der EU-Spitze.

Noch dramatischer präsentiert sich die Jugendarbeitslosigkeit mit 29,4 Prozent. Seit 2007 lagen die jährlichen Staatsdefizite mit durchschnittlich 6,7 Prozent des BIP deutlich über der Maastrichter Grenze von 3 Prozent.

Die Staatsverschuldung hat sich trotz Inflation und EU-Geldern seit 2020 erst von 120 auf 112 Prozent im Jahre 2022 zurückgebildet.

Als Fiasko erwies sich im «Superwahljahr» das neue Sexualstrafrecht. Es sollte das Vorzeigeprojekt der Regierung werden. Doch plötzlich wurden Dutzende von Sexualverbrechern vorzeitig aus den Gefängnissen entlassen. Deshalb kam es in Madrid zu massiven Demonstrationen gegen Premier Sanchez.

Erstmals seit vierzig Jahren könnte es im Juli 2023 zu einer rein rechten Regierung in Spanien kommen. Dafür benötigt die PP aber vielerorts die rechtspopulistische Vox, die ebenfalls zulegen konnte.

Auch auf nationaler Ebene zeigen die sieben Mai-Umfragen eine Führung der PP mit rund 30,4 Prozent (Wahlen 2019: 16,7 Prozent), während die SPOE noch auf 25,7 Prozent (2019: 28,6 Prozent) käme. Im Unterschied zu den Provinz- und Kommunalwahlen würde hingegen die rechtskonservative Vox fast den doppelten Wähleranteil, nämlich 14,4 Prozent (2019: 10,3 Prozent), erobern. Die vierte Partei, die erst am 28. März 2022 gegründete links-progressive Sumar, die sich aus diversen Linksparteien und ehemaligen Podemos-Wählern zusammensetzt, käme auf 14,4 Prozent (früher Podemos, 2019 14,3 Prozent).

Alle übrigen Splitterparteien, vorab linke oder regional-nationalistische, liegen im Bereich von 0,1 bis 2,5 Prozent. Dennoch könnte ihre Unterstützung für die Grossparteien das Zünglein an der Waage bilden.