Argentinien ist mit einem BIP 2023 von 641 Milliarden US-Dollar und 47 Millionen Einwohnern die zweitgrösste Volkswirtschaft Südamerikas. Seit der Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1816 hat Argentinien bereits neunmal eine Staatspleite erlebt. Die zehnte steht wohl bevor.

Die letzte Insolvenz liegt nur wenige Jahre zurück, sie ereignete sich 2020. Nun schlägt die Regierung mit abenteuerlichen Massnahmen wild um sich, um ein erneutes finanzielle Aus zu verhindern.

So hat Argentinien den Leitzins um 60 Prozentpunkte auf 97 Prozent angehoben und will verstärkt am Devisenmarkt intervenieren. Letzteres ist heftig umstritten, denn die Währungsreserven sind bereits dahingeschmolzen, und mit dieser Notreserve den schwindsüchtigen Peso zu stützen, erscheint ohnehin chancenlos. Auch der IWF warnt das Land vor einer sinnlosen Verschwendung der Reserven und der Aufnahme von kurzfristigen Auslandsschulden.

Kritiker halten der Regierung vor, diese Verzweiflungstaten dienten vor allem dem Wahlkampf, denn am 22. Oktober 2023 finden in Argentinien Parlamentswahlen statt. Dannzumal steht die Neubesetzung von 130 der 257 Sitze für eine vierjährige Amtsperiode an. Das Parlament bestellt danach den Präsidenten und den Vizepräsidenten.

Seit 2018 hängt das Land einmal mehr am Topf des Internationalen Währungsfonds (IWF). Damals musste der IWF dem Land mit dem grössten Rettungspaket in der Geschichte des Fonds, mit 50 Milliarden US-Dollar beistehen. Aber diese Hilfe reichte nicht aus, denn bereits 2022 geriet das G-20-Land erneut in eine Notlage.

Die Corona-Pandemie und eine schwere Dürre haben Reformen verhindert. Die Staatsschulden sind seit 2015 bis 2022 von 53 auf 84 Prozent des BIP angestiegen. Die Regierung musste erneut beim IWF anklopfen. Dieser schnürte ein weiteres Hilfspaket über 44 Milliarden US-Dollar.

Seit Argentiniens IWF-Beitritt im Jahr 1956 ist dies das 22. Hilfspaket. Ende April 2023 schuldete Argentinien dem IWF 43,3 Milliarden US-Dollar und ist damit vor Ägypten mit 18 Milliarden US-Dollar, der Ukraine mit 12 Milliarden US-Dollar und Pakistan mit 7,5 Milliarden US-Dollar der grösste Schuldner des Währungsfonds. Argentiniens Auslandsschulden beliefen sich Ende 2022 auf 277 Milliarden US-Dollar oder 45 Prozent des BIP.

Wirtschaftsminister Massa will die Freigabe der IWF-Gelder noch vor den Wahlen erreichen, um die prekäre Wirtschaftslage vor dem Urnengang zu stabilisieren. Damit will er sich als erfolgreicher Kandidat fürs Präsidentenamt präsentieren. Seit 2013 führt Massa die peronistisch ausgerichtete Partei «Frente Renovador», die zum Lager des Regierungsbündnisses «Frente de Todos» zählt.

Die aussichtsreichsten Kandidaten dieser Partei, Präsident Alberto Fernández und seine Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, scheuen sich offensichtlich, wieder anzutreten. Aber eine Wende zum Besseren erscheint angesichts der aktuellen Wirtschaftszahlen ein Ding der Unmöglichkeit.

Eine neue Dürre droht das Land in eine Rezession zu stürzen. Die Inflation stieg im April auf 109 Prozent, den höchsten Stand seit 1991. Weitere Inflationsschübe werden erwartet. Der argentinische Peso hat gegenüber dem Franken und dem US-Dollar seit Ende 2020 je rund 63 Prozent eingebüsst.

Die letzten paar Wahlumfragen im April 2023 für fünf Parteien zeigen, dass drei auf einen Anteil von 25 Prozent zusteuern. In Führung liegt die «Juntos por el Cambio» (Mitte-rechts/Lorreta, Macri). Aber sie verlor seit den Wahlen 2021, als noch 42,8 Prozent der Wähler für sie stimmten, deutlich und kommt nur noch auf 27,4 Prozent.

Etwas gemächlicher verlief der Sinkflug der Regierungspartei «Frente de Todos» (SP/Fernández, Kirchner) deren Wähleranteil von 34,6 auf 25,4 Prozent zurückging. Dafür verzeichnet der Rechtspopulist Javier Milei von «La Libertad Avanza» in jüngster Zeit einen Höhenflug von 7,3 auf zuletzt 22 Prozent. Er vertritt noch extremere Ideen dafür, Argentiniens Währungskrise und die Hyperinflation zu beenden: Er will die Zentralbank abschaffen und den US-Dollar als Zahlungsmittel einführen.