Ich habe noch nie verstanden, warum das Fokussieren auf physische Attraktivität schlecht sein soll. Ist Schönheit etwa weniger wert als beispielsweise Intelligenz? Intelligenz wird durch unsere Gene beeinflusst, Schönheit auch. Seit Jahrzehnten hat der Feminismus erfolgreich daran mitgewirkt, klassische Schönheitswettbewerbe von der grossen Bühne zu verdrängen oder sie in Weltverbesserungs-Events zu verwandeln. Der Fokus auf äussere Attribute degradiert die Frau angeblich zum (Sexual-)Objekt. Bei den «Miss America»-Wahlen müssen sich die Teilnehmerinnen nicht mehr im Bikini zeigen, wie die Organisatoren vor einigen Jahren verkündeten. Statt auf physische Attribute fokussiere man auf soziales Engagement und die Ziele im Leben der Teilnehmerinnen.

Und natürlich kann man die Neugestaltung kritisieren, wie auch ich es tat. Ich finde es schade, dass die Betonung der physischen Schönheit heute bei vielen dieser Wettbewerbe unter den Tisch gefallen ist. Ich sehe gern atemberaubend schöne Frauen, ich fühle mich auch nicht schlecht, weil meine Nase locker zweimal grösser ist als deren Stupsding oder meine Oberschenkelhaut um ein Vielfaches delliger. Ausserdem dienen diese Wettbewerbe so manchen angehenden Models als Sprungbrett ins Showbusiness. Ich erkenne auch nicht, wie diese umgewandelten Events das Leben von Frauen konkret verbessern sollen. Aber wenn die Veranstalter neue Konzepte entwickeln, die ihrer Meinung nach besser passen, haben sie jedes Recht dazu. Niemand zwingt uns, das anzusehen.

Das ist etwa so, als würde man an der Fussballweltmeisterschaft neu Badminton spielen.

Nun wird auf der neugekürten «Miss Germany» herumgehackt, als ob sie persönlich den Angriff auf die Institution der Miss-Wahlen gestartet hätte. Menschen reagieren hämisch, weil Apameh Schönauer, 39, Zweifachmutter und im Iran geboren, nicht ins gängige Bild einer (deutschen) Schönheitskönigin passt. Ihr Foto wird von hier bis Amerika via X herumgereicht, es wird von «Woke-Wahnsinn» gesprochen und Bilder früherer Gewinnerinnen als Vergleich dazugepostet – alles mit dem zynischen Unterton, sie sei nicht schön genug, und dann auch noch mit iranischen Wurzeln! In Germany! Ach Göttchen. Das ist ein ziemlich absurdes Argument gegenüber der Berlinerin.

Klar kann man einwenden, dass die Kritik sich nicht gegen die Frau, sondern gegen die Veranstaltung richtet. Na ja, wenn du das Foto einer Person auf diese Art verbreitest, machst du sie zwangsläufig zur Zielscheibe deiner Kritik. Es ist nicht alles ein Skandal, und man vergisst oft zu schnell, dass da ein Mensch dahintersteckt, der vielleicht mitliest.

Die Veranstalter haben diese Kontroverse provoziert. Auf ihrer Website verkünden sie stolz: «Miss Germany 2024 – Auszeichnung für Frauen, die Verantwortung übernehmen», die Gewinnerin habe «mit ihrem Engagement für Frauenrechte» überzeugt. Wie gesagt, kein Ding, man passt sich dem Zeitgeist an. Aber warum beharrt man darauf, den alten Markennamen beizubehalten, obwohl es nun vielmehr um soziales Engagement als um 90-60-90-Masse und Schönheit geht und das neue Konzept so gar nicht mehr zum klassischen «Miss Germany»-Image passt? Das ist etwa so, als würde man an der Fussballweltmeisterschaft neu Badminton spielen, der Wettkampf hiesse aber weiterhin Fussball-WM. Um vorauszusehen, dass dann auch die unschuldigen Badmintonspieler einen Teil der ewigen Online-Häme abkriegen, muss man nicht Mike Shiva selig sein. Mit «Miss Germany» verbinden nun mal die allermeisten eine Schönheitswahl, und bei dieser geht es vor allem um physische Attraktivität, es kämpfen nicht hehre Ziele gegeneinander.

Warum nennen sie den Wettbewerb nicht «Vorbildfrau-Award», «Frau der Verdienste» oder «Lady Engagement»? Das wäre passender für eine Veranstaltung, die Frauen für ihre Arbeit und nicht für ihre Sanduhrfiguren belohnt. Ganz einfach: weil eine «Vorbildfrau 2024» kaum jemanden hinterm Ofen hervorlockt und auch kaum Schlagzeilen generieren würde. «Miss Germany» hat Strahlkraft. Auf diese Gratis-Aufmerksamkeit möchte man offenbar doch nicht verzichten, Weltverbesserung hin oder her. Ich kann verstehen, dass man sich aus strategischen Gründen vom glamourösen Schein eines alten Zopfs nicht trennen will. Aber eine Gewinnerin unnötigerweise unfairen Vergleichen auszusetzen, kann ja auch nicht im Sinne von Frauen sein.

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Die 3 Top-Kommentare zu "Vorbildfrau 2024"
  • walterguidali

    Wenigstens war sie früher kein Mann

  • Marco Keller

    Die Welt verkommt immer mehr zu einem Irrenhaus.

  • raedi butz

    "Statt auf physische Attribute fokussiere man auf soziales Engagement und die Ziele im Leben der Teilnehmerinnen." Engagement und Ziele sind Ausdruck des Wollens. Da kann man allerdings viel erzählen. Jedenfalls passt es zum Zeitgeist und dem Spruch: "Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht!"