Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Online-Portal Nachdenkseiten.

Der aktuelle ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, hat in einem ziemlich einzigartigen Akt der Einmischung die Berliner Zeitung (BLZ) und deren Berichterstattung verbal attackiert. So bezeichnete er die Zeitung unter anderem mit Verweis auf deren angeblich tendenziöse Berichterstattung als «Radio Moskau», versuchte, neun Redakteure und Autoren namentlich zu diffamieren, und rief zum Boykott der Zeitung auf: Man solle diese nicht mehr lesen und ihr auch keine Interviews mehr geben. Die BLZ selbst wertet das Agieren des Botschafters als «versuchte Einschüchterung und mithin als Eingriff in die Pressefreiheit».

Die Nachdenkseiten wollten vor diesem Hintergrund von der Bundesregierung wissen, wie sie diese Einmischung in die Presselandschaft der Bundesrepublik durch einen ausländischen Diplomaten bewertet. Von Florian Warweg

Hintergrund

Am 2. April veröffentlichte der ukrainische Botschafter auf seinem offiziellen X-Kanal einen acht Tweets umfassenden Thread, in welchem er sich zunächst unter dem Hashtag «amoralischer Kompass» an zahlreichen Gastautoren und Interviewgästen der Berliner Zeitung wie dem BSW-Spitzenkandidaten für die EU-Wahl, Fabio de Masi, dem Friedensforscher Leo Ensel («… kremlnah»), dem Politologen Johannes Varwick («Vertreter der politischen Schule des Narzissmus»), den sich für Verhandlungen einsetzende Ex-Militärs Harald Kujat und Erich Vad («Kapitulationsgeneräle») sowie dem UN-Diplomaten a. D. Michael von der Schulenburg abarbeitet:

Anschliessend wirft er der BLZ die Veröffentlichung von «Propagandatexten» vor, die «Verschwörungstheorien und Falschbehauptungen» verbreiten würden. Im nächsten Schritt widmete er sich dann dem Versuch der namentlichen Denunziation von mehreren Redakteurinnen der Berliner Zeitung, denen er vormalige Tätigkeiten für russische Video- und Nachrichtenagenturen wie Ruptly oder Ria Novosti vorwirft:

Abschliessend rief der ukrainische Botschafter dann zum De-facto-Boykott der Berliner Zeitung («Berliner Volksrepublik Zeitung») auf:

Die Berliner Zeitung reagierte umgehend und erklärte, dass man sich gegen die persönliche Diffamierung von Redakteuren und die damit verbundenen Einschüchterungsversuche verwahre, und forderte den Botschafter auf, die in Deutschland herrschende Pressefreiheit zu respektieren:

«Wir verwahren uns entschieden gegen die persönliche Diffamierung von einzelnen Redakteuren und Autoren der Berliner Zeitung durch den ukrainischen Botschafter Oleksij Makejew. Wir sehen die völlig unbegründeten Attacken gegen namentlich genannte Redakteure und Autoren als versuchte Einschüchterung und mithin als Eingriff in die Pressefreiheit. Wir sind verwundert über die Ausfälle, weil es bis zu diesem Post auf X keine einzige direkte Beschwerde des Botschafters an die Redaktion der Berliner Zeitung gegeben hat. Wir erwarten, dass der ukrainische Botschafter die Pressefreiheit in einer europäischen Demokratie respektiert.»

Verrückt wie die aktuellen Zeiten sind, sprang dann ausgerechnet der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland und Bandera-Verehrer Andrij Melnyk der BLZ bei und nannte die Attacke des aktuellen Botschafters einen «Schlag unter die Gürtellinie, ein absolutes No-Go», die Pressefreiheit sei unschätzbar und müsse von allen respektiert werden.

Wie verworfen das Verhältnis von Melnyk, der sich derzeit gegen seinen Willen als Botschafter in Brasilien verdingen muss, und dem neuen Botschafter Makejew ist, bezeugen dann die weiteren Äusserungen von Melnyk gegenüber der Berliner Zeitung:

«Diejenigen, die hartgesottene proputinsche Lakaien wie Manuela Schwesig oder Michael Kretschmer aufwerteten und salonfähig machten, haben kein moralisches Recht, freie deutsche Medien wegen kritischer Berichterstattung anzugreifen.»

Mit «diejenigen» ist sein Botschaftskollege gemeint. So viel zum Stimmungsbild im diplomatischen Corps der Ukraine. Es ist dabei nicht frei von Ironie, dass ausgerechnet ein ukrainischer Botschafter davon spricht, wie unschätzbar die Pressefreiheit sei, ohne dabei kritisch auf die Verhältnisse im eigenen Land zu verweisen: Die TV-Medien sind im Wortsinne gleichgeschaltet, regierungskritische Medien, egal ob Print, Radio, Digital oder TV, sind zum Grossteil verboten worden, viele weit vor dem 24. Februar 2022 (Die Nachdenkseiten berichteten).

Massive Kritik von Journalisten-Verbänden aus EU und Ukraine

Die Europäische Journalisten-Föderation sprach im Zusammenhang des 2023 verabschiedeten neuen Mediengesetzes von «willkürlicher Zensur seitens der ukrainischen Regierung» und «totaler Kontrolle des ukrainischen Präsidenten» in Bezug auf TV- und Radio-Ausstrahlungen sowie Print- und Onlinemedien. Noch deutlichere Worte fand der Nationale Journalistenverband der Ukraine (NSJU). Die Journalisten-Gewerkschaft nennt das Mediengesetz die «grösste Bedrohung für die Meinungsfreiheit in der unabhängigen Geschichte der Ukraine» und fügt hinzu, dass die Verabschiedung des Gesetzes «den Schatten eines Diktators» auf Selenskyj werfe, welcher zuvor noch erklärt habe, dass er den Freiheitskampf der freien Menschen anführe.

Die Ukrainische Internet-Vereinigung (UIA) spricht in dem Zusammenhang sogar von «Totalitarismus im Medienbereich» und nennt das Gesetz verfassungswidrig. Zudem weist die UIA darauf hin, dass es entgegen der Regierungsdarstellung nicht um Massnahmen im Zuge des Kriegszustandes geht, sondern dass ausnahmslos alle Erneuerungen in dem Gesetz auf Medien in Friedenszeiten abzielen.

So viel zur Lage der Pressefreiheit in der Ukraine. Davon abgesehen war der versuchte Eingriff in dieselbige in Deutschland durch die ukrainische Botschaft kein Einzelfall. Erst am 2. Februar 2024 hatte die Botschaft der Ukraine eine Stellungnahme veröffentlicht, in welcher sie erklärte, ohne Zustimmung Kiews dürfte das ZDF (und andere deutsche Medien) nicht aus von Russland kontrollierten Gebieten im Donbass berichten. Am selben Tag griff auch das Aussenministerium in Kiew das ZDF an und erklärte, dieses würde keinen Journalismus betreiben, sondern die Realität verzerren. Hintergrund war eine erstmalig sachlich-neutrale Berichterstattung des ZDF von der anderen Seite der Front – aus der von Russland kontrollierten Stadt Mariupol in der Oblast Donezk (die Nachdenkseiten berichteten).

Auch damals fragten die Nachdenkseiten auf der BPK nach, und die Antwort fiel ähnlich indifferent aus wie im Falle der Berliner Zeitung:

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie anders die Reaktion ausfallen würde, wenn die Botschafter Russlands oder Chinas versuchen würden, dem ZDF vorzuschreiben, wie und aus welchen Regionen sie berichten dürfen oder, wie im Falle der BLZ, zum Boykott einer deutschen Zeitung aufrufen würden. Es kann mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der AA-Sprecher dann ebenfalls erwidern würde:

«Das sind Debatten, die in einer Demokratie mit Presse- und auch Meinungsfreiheit geführt werden.»

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 3. April 2024

Frage Warweg:

Die ukrainische Botschaft in Deutschland hat kürzlich die Berliner Zeitung massiv angegriffen, mehrere Journalisten, die für die Berliner Zeitung arbeiten, öffentlich diffamiert und zum Boykott dieser Zeitung aufgerufen. Mich würde interessieren: Wie bewertet das Auswärtige Amt diesen Eingriff oder zumindest versuchten Eingriff in die Presselandschaft durch die ukrainische Botschaft?

Fischer, Auswärtiges Amt:

Für Fragen des Medienrechts bin ich jetzt nicht direkt zuständig. Aber ich habe natürlich die öffentliche Debatte, die von dem ukrainischen Botschafter ausgelöst wurde und die von der Berliner Zeitung auch weitergeführt worden ist, die Sie ansprechen, zur Kenntnis genommen. Ich würde einmal sagen: Das sind Debatten, die in einer Demokratie mit Presse- und auch Meinungsfreiheit geführt werden. Ich kann hieran jetzt auf den ersten Blick nichts total Ungewöhnliches erkennen.

Zusatzfrage Warweg:

Der Botschafter hat das ja mit einem Boykottaufruf verbunden und dazu aufgerufen, der Berliner Zeitung keine Interviews mehr zu geben etc.

In meinem naiven Verständnis geht das über den normalen diplomatischen Rahmen hinaus, in dem sich ein Botschafter in Deutschland zur deutschen Presselandschaft äussern kann. Wie bewerten Sie diesen Sachverhalt aus der diplomatischen Perspektive heraus? Ist sein Verhalten vom Wiener Abkommen gedeckt?

Fischer, Auswärtiges Amt:

Ich werde mich hier nicht in eine rechtliche Textexegese des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen begeben. Aber ich sehe jetzt nicht, wie das im Widerspruch dazu stehen würde.