Heute vor genau hundert Jahren ist die moderne TĂŒrkei in den heutigen Grenzen entstanden. Und zwar mit der Unterschrift der Vertreter der beteiligten Staaten vom 24. Juli 2023 im Palais de Rumine in Lausanne, nachdem die eigentlichen Verhandlungen im Schloss Ouchy an den Gestaden des Genfersees stattgefunden hatten. Es handelte sich um die erste grössere, weltweit beachtete internationale Konferenz auf Schweizer Boden.
Dieser Vertrag von Lausanne, den die TĂŒrken noch immer als eigentliche staatliche GrĂŒndungsurkunde beurteilen, ersetzte den fĂŒr die TĂŒrkei unannehmbaren Vertrag von SĂšvres des Jahres 1920. Es handelte sich beim SĂšvres-Abkommen um einen Diktatfrieden, der fĂŒr die TĂŒrkei noch demĂŒtigender war als der Versailler Vertrag fĂŒr das Deutsche Reich. Die alliierten Sieger nahmen unbarmherzig Rache am osmanischen Kriegsverlierer, was zum Teil wegen des schrecklichen Schicksals der Armenier erklĂ€rt werden kann.
Der Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 beschrĂ€nkte die TĂŒrkei gebietsmĂ€ssig im Wesentlichen auf Kleinasien. Der junge Staat hatte mittlerweile als Sieger des Griechisch-TĂŒrkischen Kriegs eine stĂ€rkere Position. Ankara wurde neue Hauptstadt, die Geschicke des Landes lenkte mit harter Hand die kemalistische Einheitspartei unter AtatĂŒrk. Es kam zu einer radikalen Modernisierung des Landes, wobei der laizistische Staat in Politik und Recht den Islam zurĂŒckdrĂ€ngte. Als besonders wichtig erwies sich fĂŒr den Fortschritt der TĂŒrkei die Ăbernahme des Schweizerischen Zivilgesetzbuches.
Der Vertrag von Lausanne sprang indessen ungnÀdig mit den Minderheiten um. Es kam in der Folge zu einschneidenden, auch brutalen Umsiedlungen. Neben den vertriebenen Griechen hatten unter anderem die Kurden schwer an der fehlenden Autonomie und der Nichtanerkennung ihrer Kultur zu leiden.
1936 erhielt die TĂŒrkei im Vertrag von Montreux die Kontrolle ĂŒber die Meerengen zurĂŒck. Bedeutende Persönlichkeiten, welche die Nazis ausgeschaltet hatten, konnten in der TĂŒrkei leben und lehren. So der aus RassengrĂŒnden vertriebene spĂ€tere Basler Chirurg Rudolf Nissen oder der liberale Genfer Ăkonom und Soziologe Wilhelm Röpke. Auch blieb die TĂŒrkei im Zweiten Weltkrieg neutral, so dass sie von den Siegern nicht als Feind beurteilt, vielmehr 1952 in die Nato aufgenommen wurde.
Bei aller WĂŒrdigung des hundertjĂ€hrigen Vertrags von Lausanne darf nicht vergessen werden, dass der aktuelle tĂŒrkische Staatschef Recep Erdogan deren Ergebnisse nicht vollstĂ€ndig anerkennt, sondern neuerliche Gebietsforderungen stellt.
Am 11. November 2008 schenkte der damalige Schweizer BundesprĂ€sident Pascal Couchepin der TĂŒrkei anlĂ€sslich des Besuchs des tĂŒrkischen StaatsprĂ€sidenten Abdullah GĂŒl jenen Tisch, auf dem der Vertrag von Lausanne 1923 unterzeichnet worden war. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage historisches Schweizer Kulturgut durch unsere Politiker ans Ausland verschenkt wird, wĂ€re einmal abzuklĂ€ren. Möglicherweise durch die Verantwortlichen des Historischen Museums in Lausanne, die gegenwĂ€rtig eine Ausstellung zum Lausanner Vertrag prĂ€sentieren. Und die jetzt wegen Couchepin auf diesen historischen Tisch verzichten mĂŒssen.
>>>Politiker verschenken Eigentum, was ihnen nicht gehört. Man könnte es Diebstahl nennen....an sich stoert mich das in einer tyrannie nicht, aber in einer demokratie wo die politiker vom vox populi ernannt werden ist das eigentlich anathema. danke moergeli fuer den hinweis! die lokale im port d'ouchy existieren nicht mehr, oder sind unauffindbar. die ausstellung im plais rumine ist gratis und schaebig wenig besucht oder angezeigt. die pornographie in der kathedrale war viel attraktiver!
>> die jetzt wegen Couchepin auf diesen historischen Tisch verzichten mĂŒssen....Moergeli: wie kam es, wer hat das beschlossen und durchgesetzt , dass unser ambassador/konsul in washington die beiden vom schweizer maler Frank Buchser weltberuehmten portraets von General Lee und Grant abhaengen, (die mit schweizer geldspenden fuer "surplus" winchester gewehre aus dem zivilkrieg berappt wurden), mit fotos von schwarzen afrikanischen teenagers ersetzen und "in nacht und nebel" verschwinden lassen?
Es ist immer wieder hilfreich darauf hinzuweisen, dass die Grenzen der LĂ€nder fast immer durch Gewalt gezogen und dann spĂ€ter durch VertrĂ€ge - wenigstens temporĂ€r - als fĂŒr verbindlich (als 'Völkerrechte') anerkannt werden. Im Nahen Osten und in Nordafrika wurden so ganze LĂ€nder recht willkĂŒrlich aus dem Boden gestampft, ohne RĂŒcksicht auf den tatsĂ€chlichen Willen der Bevölkerung. Die Probleme, die die Auflösung des Osmanischen Reiches verursacht hat, spĂŒren wir noch heute - auch auf dem Balkan.