Zu ihrem Amt kam die siebenfache Mutter wie die Jungfrau zum Kind. Bei der Wahl zum Europaparlament 2019 stand die heutige EU-Kommissions-Chefin Ursula von der Leyen auf keinem Stimmzettel. Die Deutsche wurde von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als Kompromiss aus dem Hut gezaubert, weil sich die Mitgliedsstaaten auf keinen der vorgesehenen Bewerber einigten.

Nächstes Jahr wird wieder gewählt, und zumindest ihre eigene Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) möchte von der Leyen für eine weitere Amtsperiode behalten. Doch dabei gibt es plötzlich ein Problem – die Wähler. Diesmal zumindest sollten sie ein Wort mitreden dürfen, wer das zunehmend allmächtige und kaum parlamentarisch kontrollierte Spitzenamt der EU besetzt. Die EU-Chefin müsste folglich in ihrem Heimatwahlkreis im deutschen Bundesland Niedersachsen für die Europawahl antreten.

Peking, Pjöngjang, Brüssel

Dumm nur, dass Wähler unberechenbar sind. Von der Leyen könnte gar, horribile dictu, verlieren. Nicht zu reden von anderen Zumutungen wie öffentlichen Wahlkampfdebatten oder politischen Angriffen auf ihre unantastbare Person. Undenkbar für eine Frau, die mit der Unfehlbarkeitsattitüde eines frühmittelalterlichen Papstes auftritt.

Solche Überlegungen machten die Runde auf einer informellen Tagung der deutschen CDU/CSU in München, über die das Medienportal Politico berichtete. Obwohl von der Leyens Partei eine Niederlage an der Urne weitgehend ausschloss, wollten sie einige dann doch lieber aus den schmutzigen Niederungen einer Wahlkampagne heraushalten.

David McAllister, einflussreicher EU-Parlamentarier, beschwor zwar ein «wirklich demokratisches Verfahren», schränkte aber gleich ein: «Es ist keine Conditio sine qua non, dass von der Leyen sich zur Wahl stellt.» McAllisters erstaunliche Begründung: «Sie ist schon Kommissionspräsidentin.» Man könne es also «so oder so» sehen, ob eine Wahl zwingend notwendig sei. Kann man. Die Methode «Amtsinhaber bleibt im Amt» hat sich ja auch in China oder Nordkorea als erfolgreich erweisen. Nur dass Amtsinhaber in Peking und Pjöngjang wenigstens nominell gewählt werden.

Dass sich ausgerechnet McAllister so weit aus dem Fenster lehnt, mag wohl auch seiner persönlichen Vita geschuldet sein. Er kommt aus Niedersachsen, war dort mal Ministerpräsident und führt normalerweise bei Europawahlen die Landesliste an. Von diesem Platz würde er jedoch von der EU-Kommissions-Präsidentin gewiss verdrängt werden. Aber wir wollen ihm nichts Böses unterstellen.

Pikant ist eine andere Frage: Der Präsident der EU-Kommission sollte nicht nur von seiner Partei, sondern auch von der Regierung des Heimatstaates unterstützt werden. Doch in Berlin regiert nicht die CDU, sondern der Sozialdemokrat Olaf Scholz mit Grünen und Liberalen. Dennoch ist er einer zweiten Amtszeit von der Leyens nicht abgeneigt. Eine Landsfrau auf diesem Posten kann nie schaden.

Obendrein könnte er so den ungeliebten Grünen ein Schnippchen schlagen. Die hatten ihrem lautstarken Spitzenmann Anton Hofreiter ein Ministeramt verweigert und ihn stattdessen mit der Aussicht auf den ungleich mächtigeren – und besser bezahlten – Posten eines EU-Kommissars vertröstet. Doch wenn von der Leyen Präsidentin bleibt, gibt es keinen Platz für einen zweiten Deutschen.