Deutschland spielt Demokratie. Das Spiel trägt den Namen «Bürgerrat». Die jüngste Runde wurde Ende Juli eingeläutet. Dabei zog Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) als gnädige Glücksfee in einer im Parlamentsfernsehen übertragenen «Lotterie» die Teilnehmer des ersten Bürgerrats des Deutschen Bundestags. Die Auserwählten dürfen nun unter Anleitung zum Thema «Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben» diskutieren. Am 29. September wird der Bürgerrat «nach einer feierlichen Begrüssung» seine Arbeit aufnehmen.

«Arbeiter- und Soldatenräte» kennt man aus der Geschichte des Kommunismus und der russischen oder der deutschen Revolution. Nun wollen wir aber nicht gleich die historische Keule ausfahren. Schliesslich hören auch viele demokratische Gremien auf den Namen «Rat». Dennoch ist eine kritische Betrachtung angebracht. Deutschland tut so, als ob es seine Demokratie stärken wollte – doch das Gegenteil ist der Fall.

 

Herrschaftsanspruch der Elite

Das lässt sich am Beispiel des Bürgerrats zur «Ernährung» veranschaulichen. Es fängt schon bei der Auswahl der Teilnehmer an. Zwar werden diese ausgelost, aber nach bestimmten Kriterien – beispielsweise der «Einstellung zu veganer oder vegetarischer Ernährung» –, die der Bundestag festgelegt hat. Die Treffer der «Bürgerlotterie» dürfen an einer von «Experten» begleiteten und «professionell moderierten» Diskussion teilnehmen, die schliesslich in «Empfehlungen» an die Politik münden. Ausserdem gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, dessen Mitglieder von den etablierten Parteien entsandt werden. Hat da jemand «gelenkte Demokratie» gesagt?

Bundestagspräsidentin Bas: «Unsere parlamentarische Demokratie braucht frische Ansätze, um das Vertrauen in die etablierten Institutionen zu stärken.» Bürgerräte seien einer davon: «Sie schaffen Raum für Begegnungen ganz unterschiedlicher Menschen. Jede und jeder kann seine persönlichen Sichtweisen und Erfahrungen einbringen.»

Die Treffer der «Bürgerlotterie» dürfen an einer «professionell moderierten» Diskussion teilnehmen.

Diese Meinungsvielfalt bereichere die Demokratie und verschaffe den «Stimmen der stillen Mitte» Gehör. Für die Abgeordneten bildeten die Bürgerräte «eine weitere Möglichkeit zur Rückkopplung mit den Menschen». Die Sonntagspredigt der Parlamentspräsidentin mündet dann allerdings eher unsanft in die Verkündigung des eigenen Herrschaftsanspruchs: «Bürgerräte haben ein einzigartiges Potenzial, unsere Demokratie zu bereichern. Sie ersetzen aber nicht die parlamentarische Auseinandersetzung. Am Ende entscheiden und verantworten die Abgeordneten, welche Empfehlungen umgesetzt werden.»

 

Lösung heisst direkte Demokratie

Ein besonderes Augenmerk soll auf der «Rolle des Staates im Spannungsfeld von individueller Freiheit und Verantwortung für die Gesellschaft» liegen. Der Staat – das ist die kaum verschleierte Absicht der Übung – will sich durch die Bürgerräte eine zusätzliche Legitimität für Interventionen verschaffen. Der gesamte Fragenkatalog zielt auf staatliches Handeln ab («Wie können die Bürgerinnen und Bürger bei Kaufentscheidungen im Hinblick auf eine gesunde Ernährung besser unterstützt werden?» «Welchen steuerlichen Rahmen soll der Staat für die Preisbildung von Lebensmitteln setzen?» «Wie kann der Lebensmittelverschwendung Einhalt geboten werden, und was kann der Staat dagegen tun?»).

Die Frage, ob sich der Staat überhaupt in die Ernährungs- und Kaufentscheide der Bürger einmischen soll, stellen sich die Regisseure des Demokratie-Theaters gar nicht erst.

 

Hebel für Lobbyorganisationen

Bevor sich der Bürgerrat zur ersten Sitzung zusammengefunden hat, bringt der Bundestag bereits eine «Reihe von Instrumenten der Ernährungspolitik» ins Spiel, etwa «Selbstverpflichtungen, gesetzliche Mindeststandards, Regulierungen, Fördermassnahmen, Kennzeichnungspflichten, Qualitätssiegel oder Informationskampagnen und Bildungsmassnahmen». Dies alles zielt darauf ab, den Einfluss des Staates zu steigern.

Auch in der Schweiz fand schon ein «Bürger:innenrat» zur «Ernährungspolitik» statt. Auffallend ist dabei die durchs Band links-grüne Stossrichtung. Als Träger figurieren verschiedene links-grüne Organisationen, von der Stiftung Landwirtschaft mit Zukunft über Biovision bis zum Netzwerk für Nachhaltigkeitslösungen, das von der Uno installiert worden ist. Die Verantwortlichen bekennen sich denn auch ausdrücklich dazu, die Uno-Agenda 2030 mit ihren Nachhaltigkeitszielen umzusetzen.

Kurzum: Die Bürgerräte entpuppen sich als Hebel für Lobbyorganisationen sowie staatliche und überstaatliche Institutionen, um ihre Machtbasis zu erweitern. Dabei wäre es doch ganz einfach: Wer es ernst meint mit der Stärkung der Demokratie, der lässt die Bürger abstimmen. Man nennt das «direkte Demokratie».