Dieser Text erschien zuerst auf dem Onlineportal Persönlich.com.

Es gibt Dinge, über die muss man nicht diskutieren: Wie der Blick mit den Protagonisten der Landammann-Affäre umgegangen ist, wünscht man niemandem. Es war eine Schweinerei. Folgerichtig stellte ein Gericht in vier Artikeln eine Persönlichkeitsverletzung an Jolanda Spiess-Hegglin fest. Ringier akzeptierte das Urteil und entschuldigte sich auf der Frontseite des Blick.

Durchaus nachvollziehbar ist auch der nächste Schritt der Klägerpartei, nämlich die Forderung nach der Herausgabe der durch die vier Texte erwirtschafteten Gelder. Die Frage ist nur: Wie viel war das? Darüber hingegen muss man dringend diskutieren.

Bekanntlich wurden der Klägerpartei für die vier Artikel mehr als 300.000 Franken zugesprochen (Persoenlich.com berichtete). Davon entfallen etwa 175.000 Franken auf den Onlinebereich. Die Berechnungsgrundlage ist dabei der sogenannte Tausenderkontaktpreis (TKP), also der Preis, den eine Publikation für 1000 Werbeeinblendungen erhält. Das Gericht rechnet dabei mit einer Ausnahme, mit sechs Werbeplätzen à 40 Franken – also mit 240 Franken pro 1000 Aufrufen des Artikels.

Durch meine berufliche Tätigkeit als Angestellter in grossen Verlagshäusern musste ich mich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Und als externer Berater im Digitalgeschäft gewann ich zusätzliche Einsichten. Mit diesem Erfahrungsschatz könnte man jetzt dem vom Gericht angewendeten Seiten-TKP von 240 Franken argumentativ mit fill rates, header bidding, Kaskadenprinzip, ad stack, Viewtime, saisonalem pricing et cetera begegnen.

Aber es geht auch einfacher. Nämlich so: Was für ein riesiger Haufen Bullshit!

Kein einziger Verlagsmanager, Head of Sales oder Chief Revenue Officer auf dem Platz Zürich hat je in seinem Leben einen Seiten-TKP von 240 Franken gesehen. Ja wenns ein Zwanzigstel ist, kann man sich bereits gratulieren. Die Rechnung geht so: Man nimmt den durch Werbeumsatz erzielten Gesamtumsatz im Monat, dividiert ihn durch die Anzahl vermarktbarer Seitenaufrufe im selben Zeitraum, teilt das Ganze durch 1000 und landet bei einer Zahl, die sich in aller Regel zwischen 10 und 14 Franken bewegt.

Aber wie kommt die Klägerpartei auf einen Betrag, der zwanzig Mal höher ist? Logisch, sie wollen die Kuh schliesslich melken, was aus ihrer Perspektive durchaus nachvollziehbar ist. Und sie können sich, was das Digitalgeschäft anbelangt, auf die absolute Inkompetenz der Zuger Kantonsrichter verlassen. Hier sind wir beim eigentlichen Skandal:

Ein Gericht hat die Aufgabe, Recht zu sprechen – und Recht basiert auf einer nachvollziehbaren Faktenlage.

Doch das, was uns hier als Fakten präsentiert wird, entbehrt jeder realistischen Grundlage. Und das weiss eigentlich jeder, der je mit dem Digitalgeschäft in Berührung gekommen ist. Deshalb ist die Rechtsprechung des Zuger Kantonsgerichts eine Farce. Denkbar auch, dass die Ringier-Anwälte schlicht zu wenig überzeugend waren.

Aber das ist noch nicht alles. Von den angeblichen 200.000 Franken Onlineumsatz zieht das Gericht etwa 25.000 Franken als Redaktionskosten ab, bei denen nicht zwischen Print und Online differenziert wird. Ziehen wir der Einfachheit halber diese ganzen Kosten ab, kommen wir auf einen Onlinegewinn von etwa 175.000 Franken, den Ringier jetzt zahlen soll. Und das soll eine «Gewinnherausgabe» darstellen? Also Gewinn im Sinne von Erlös minus Kosten? Nein, natürlich nicht, denn es wurden nur die Redaktionskosten abgezogen, und so erhält das Gericht eine Umsatzrendite von 88 Prozent. In der Praxis aber werden für die Umsatzrendite alle für die Produktion nötigen Kosten abgezogen. Ich würde sie im Digitalgeschäft bei vielleicht 20 Prozent verorten.

Machen wir die Gesamtbetrachtung:

Angenommen wurden für die vier persönlichkeitsverletzenden Artikel 860.000 Seitenaufrufe.

Nehmen wir grosszügigerweise noch 50 Prozent Spillover-Effekt («Folgetraffic») hinzu, der vom Zuger Kantonsgericht wegen fehlender Beweise nicht berücksichtigt wurde. Also 1,3 Millionen Seitenaufrufe.

Multiplizieren wir das Ganze mit einem fetten Seiten-TKP von 14 Franken, landen wir bei einem Erlös von 18.000 Franken.

Wenn es tatsächlich um eine Gewinnherausgabe geht, die bei 20 Prozent des Erlöses liegt, beträgt diese 3600 Franken – oder rund 2 Prozent des der Klägerin zugesprochenen Online-«Gewinns».

Es wäre in meinen Augen ein ausserordentliches Armutszeugnis der Justiz, wenn die von Ringier angerufene nächste Instanz diesen Betrag nicht massiv nach unten korrigiert. Denn könnte man mit vier Artikeln 175.000 Franken Online-«Gewinn» machen, wären alle Probleme der Branche mit einem Schlag gelöst.

Peter Wälty war Gründer und Chefredaktor von 20 Minuten online, Chefredaktor von Tages-Anzeiger.ch/Netznetz, Leiter Digital News und Development Tamedia, Managing Director Digital beim «Blick», Head Digital bei der Weltwoche und ist derzeit Berater, Immobilienentwickler und Buchautor. Ausserdem ist er der Lebenspartner von Michèle Binswanger, die mit Klägerin Jolanda Spiess-Hegglin in einem Rechtsstreit steht.