Kommt es in Frankreich schon bald zu einem Eklat, zu einem Ende der Regierung Barnier nach erst drei Monaten?

Die Vorgeschichte: Mitte 2024 fanden in Frankreich vorgezogene Parlamentswahlen statt. Es kam zu einem Links- und Rechtsrutsch. Da Emmanuel Macron weder dem linken noch dem rechten Lager den Regierungsauftrag erteilen wollte, setzte er den Republikaner Michael Barnier als Premier ein, dessen Partei selbst nur über 47 der 577 Sitze im französischen Parlament verfügt.

Barnier kam im September ins Amt und hat eine erste Misstrauens-abstimmung auf Antrag der Partei Nouveau Front populaire überstanden, obwohl er im Parlament nur über ein Regierungsbündnis von 213 Sitzen, die Opposition aber von 364 Sitzen verfügt. Allerdings besteht die Opposition grossmehrheitlich aus den beiden politischen Extremflügeln, die höchstens in Ausnahmefällen gemeinsam agieren werden.

Dennoch ist die Regierung Barnier vom Wohlwollen des Rassemblement Nationale (126 Sitze unter Chefin Marine Le Pen) und des linkspopulistisch dominierten Bündnisses Neue Volkfront (Nouveau Front populaire mit 193 Sitzen) abhängig. Für jeden Investor ist klar, dass mit einer solch fragilen Regierung eine politische Lähmung vorgegeben ist. Die Amtsdauer des Parlamentes beträgt fünf Jahre, ausser der Präsident löst das Parlament abermals auf und verordnet Neuwahlen. Der nächste Präsident wird erst im April 2027 gewählt.

Obwohl die neue Regierung erst seit Kurzem im Amt ist, haben sich die wirtschaftlichen Aussichten deutlich eingetrübt. Sichtbar wird dies vor allem am Einbruch des Konsumentenvertrauens und des Einkaufsmanagerindex, der für Frankreich nicht nur eine Rezession im Industriesektor, sondern auch im Dienstleistungssektor anzeigt. Allerdings ist der Krebsgang in der Industrie nicht neu, sondern hat bereits Mitte 2022 eingesetzt. Vor allem der Bausektor befindet sich seit drei Jahren im Sinkflug.

Anders der Dienstleistungssektor-Index, der bis zu den Olympischen Spielen einen Höhenflug verzeichnete, seither aber ebenfalls in den Rezessionsbereich abgedriftet ist. Die November-Erhebung der EU zeigt zudem eine deutliche Eintrübung der Beschäftigungsaussichten. Die Arbeitslosigkeit ist mit 7,4 Prozent im laufenden Jahr ohnehin schon mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Es herrscht eine eigentliche Katerstimmung.

Die Bruchlandung der Realwirtschaft dürfte sich in den nächsten Monaten noch vertiefen und möglicherweise Unruhen provozieren. Das Misstrauen der Anleger gegen die brüchige Regierung und dem Linksrutsch im Parlament hat sich auch am Aktienmarkt niedergeschlagen, denn die französischen Aktien haben im bisherigen Jahresverlauf vier Prozent verloren, während die europäischen Aktien insgesamt sechs Prozent zulegten.

Volkswirtschaftlich bedeutungsvoller ist jedoch der wachsende Zinsaufschlag, den Frankreich im Vergleich zu Deutschland bezahlen muss. Dieser hat sich seit den Wahlen verdoppelt und erreichte mit 0,9 Prozentpunkten den höchsten Stand seit 2012. Ende November lag die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe Frankreichs temporär sogar über jener Griechenlands. Einige Privatschuldner bezahlen am Kapitalmarkt weniger als der französische Staat.

Mit der Lancierung des Euros verschwand der frühere teils massive Zinsaufschlag Frankreichs gegenüber Deutschland weitgehend und viele glaubten damals, die Bonität der Grande Nation lasse sich mit jener von Deutschland gleichsetzen. Die Verschuldungsquote beider Länder verlief denn auch bis 2007 in etwa parallel. Seit Beginn des Euros nahm sie in Deutschland von 60 auf 82 Prozent, in Frankreich von 60 auf 86 Prozent zu. Dann trennten sich die Wege.

In Frankreich stieg die Schuldenquote bis Juni 2024 auf 112 Prozent an, während sie in Deutschland auf 62 Prozent zurückkam. Oder anders ausgedrückt: Zu Beginn des Euros verfügte Deutschland über Schulden von rund 1'300 Milliarden, Frankreich erst 900 Milliarden. Heute übersteigen die Staatsschulden Frankreichs mit 3'200 Milliarden jene von Deutschland mit 2'600 Milliarden deutlich, obwohl das Land fast 20 Prozent weniger Einwohner als Deutschland zählt.

Frankreich müsste dringend sparen, um seine Schulden in den Griff zu bekommen. Aber auch im ersten Halbjahr stellte sich das Defizit erneut auf 5,5 Prozent des BIP, womit Frankreich weit über den tolerierten 3 Prozent Maastrichter-Marke lag.

Wie immer in der Politik gibt es drei Varianten, um aus einer solchen Misere zu kommen: Erstens die Ausgaben zurückfahren, zweitens die Einnahmen erhöhen, sprich Steuererhöhungen oder drittens die Defizite mit noch mehr Schulden finanzieren. Da die ersten beiden Varianten aus politischen Gründen kaum durchsetzbar sind, werden die französischen Staatsschulden wohl weiter zunehmen, obwohl die EU bereits ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet hat. 2023 bezahlte das Land dafür 48 Milliarden Zins, was einer durchschnittlichen Verzinsung von 1,6 Prozent entsprach. Neue Schulden kosten heute 2,9 Prozent.

Im umstrittenen Budget 2025 schlägt Barnier 40 Milliarden Sparmassnahmen und 20 Milliarden Steuererhöhungen vor. Gegen beide Massnahmen wehrt sich die Opposition. Deshalb kommt es möglicherweise zu einem Eklat, im Extremfall zu einem Ende der Regierung Barnier. Dabei stehen nur etwa 40 Prozent des französischen Staatshaushaltes, rund 514 Milliarden Ausgaben, überhaupt zur Diskussion. Die Sozialversicherungen und die Budgets der Lokalregierun-gen sind nicht Gegenstand der Budgetverhandlungen.

Auch andere wichtige Länder sind hoch verschuldet. Aber es gibt einen gewichtigen Unterschied. Wie kein anderer Staat im Westen ist Frankreich ein aufgeblähtes zentralistisches Gebilde, dessen Ausgaben über 58 Prozent des BIPs entsprechen, während die Staatsquote in Japan bei 42 Prozent, in den USA bei 38 Prozent und in der Schweiz bei etwa 35 Prozent liegt. Deutschland mit 48 und Italien mit 51 Prozent zählen ebenfalls zu den aufgeblähten Staatsgebilden, wo weitere Steuererhöhungen die frei verfügbaren Einkommen der Bevölkerung weit stärker reduzieren als in Ländern mit tiefer Staatsquote.