Der Kanzler nennt es einen «historischen, unverzichtbaren Schritt», Politico schreibt vom Grundstein für die «grösste Migrationsreform seit Jahren», und überhaupt überschlagen sich die meisten Medien in feierlichem Ton in Erleichterung, dass die Europäische Union (EU) sich nun auf einen «Migrationspakt» geeinigt und das Europäische Parlament zugestimmt habe.

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Richtig ist an all diesen Meldungen die Wendung «seit Jahren». Acht Jahre haben die EU-Länder versucht, irgendeine neue Regelung für den Ansturm von Migranten an den EU-Aussengrenzen zu finden. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der komplett folgenlos bleiben wird. Die Beschlussfassung vom Europäischen Rat über die Kommission bis hin zum Parlament zieht sich über Monate und generiert ebenso lange immer wieder neue Euphorie-Meldungen, obwohl es sich um das immergleiche Papier handelt. Und am Ende bejubeln alle Beteiligten notgedrungen ihren Murks, weil es ja ihrer ist.

Hintergrund: Die nun beschlossene Migrationsreform sieht vor, Migranten, die absehbar so gut wie kein Bleiberecht in der EU bekommen, in Einrichtungen entlang der EU-Aussengrenzen ein verkürztes Asylverfahren durchlaufen zu lassen und dann möglichst von dort aus gleich in die Herkunftsländer zurückzuweisen. Geschenkt, dass die Reform erst 2026 in Kraft tritt und bis dahin weitere Hunderttausende den Kontinent und mehrheitlich Deutschland erreichen.

Die Reform gilt gemäss Schätzungen von Experten allenfalls für 25 Prozent aller Ankommenden, deren Herkunft überhaupt zu klären ist. Die Einrichtungen gibt es bislang nicht, die Rückführungsabkommen gibt es so gut wie nicht (doch: mit Moldawien und Georgien!), und die Grenzländer sind auch nicht scharf drauf, solche Lager überhaupt einzurichten und zu bewachen, denn ungehinderte Weiterreise stünde dem Konzept ja entgegen.

Europa, wie es leibt, lebt und jubelt: Ein Durchbruch, der keiner ist. Es dauert Jahre, ist kompliziert, braucht neue Stellen und Bürokratie, ändert an der Realität nichts, und alle liegen sich selig in den Armen.

Falls sich mal wieder jemand fragt, warum die Wahlbeteiligung bei Europawahlen unterdurchschnittlich ist, Europabegeisterung bei vielen Menschen kaum noch vorhanden ist und AfD-Rechtsaussen-Flügelmann Björn Höcke mit seinem Satz punkten kann, «Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann», dann möge er an solche Tage zurückdenken.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.