Basta.

Gerhard Schröder, deutscher
Bundeskanzler (1998–2005)

 

Am 7. April feiert der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder in Hannover seinen 80. Geburtstag. Bilder zeigen ihn fit, verschlankt, in beeindruckender Form. Seine koreanische Frau scheint gut nach ihm zu schauen. Man hört, Schröder sei hervorragend drauf, kämpferisch-agil, schlagfertig, humorvoll wie in besten Zeiten.

Der Sozialdemokrat kam in Deutschland zuletzt wegen seiner Haltung zu Russland und seiner Freundschaft zu Wladimir Putin masslos in die Kritik. In Berlin wollen sie ihm deshalb das Büro und die Mitarbeiter streichen. In der Partei drohte ihm sogar der Ausschluss – Peinlichkeiten sondergleichen.

Dabei gehört Gerhard Schröder unbestritten zu den grössten deutschen Politikern unserer Zeit, einer der Besten, den die Bundesrepublik hervorgebracht hat. Mit seinen Reformen hauchte er der Wirtschaft neues Leben ein. Seine Aussenpolitik war mutig. Schröder stellte Deutschland über Ansehen, Amt und Partei. Das war grosse Klasse. 

Seine Kritiker verspotteten ihn als «Brioni-Kanzler», als «Kanzler der Bosse». Dabei wusste der soziale Aufsteiger aus ärmlichsten Verhältnissen nur besser als seine Kritiker, dass es ohne blühende Wirtschaft keinen Sozialstaat geben kann. Schröder stand für eine Sozialdemokratie, die Leistung nicht bestrafte, sondern ehrte.

Immer schon faszinierte mich dieser Politiker, der wie so viele zu seiner Zeit den sozialdemokratischen Traum der sozialen Aufwärtsmobilität nicht nur rednerisch besang. Er lebte, verkörperte ihn. Schröder war nicht, wie seine Gegner ätzten, das Gegenteil – er war der Inbegriff der SPD.

Schröder, nach mehreren Scheidungen finanziell wohl etwas unter Druck, sah sich nach dem Abgang gezwungen, sein Vermögen zu optimieren. Eine Spur zu rasant in den Augen seiner Kritiker trat er in die Dienste seines Freundes Wladimir Putin ein. Doch sein Engagement schadete nicht. Deutschland profitierte.    

Das gilt speziell für seine heute vielgeschmähte Russland-Politik. Sie steht in besten sozialdemokratischen, in guten deutschen Traditionen. Nach dem Krieg richtete Gründungskanzler Adenauer die junge Republik nach Westen aus. SPD-Regierungschef Willy Brandt brachte mit seiner Ostpolitik die Balance, das Gleichgewicht zurück.

Deutschland als Brücke zwischen Ost und West – das prägte Politik und Weltbild von Kanzler Schröder, und genau darin erwies er sich zudem als kluger Diener deutscher Interessen. Seine Agenda-Reformen brachten die Wirtschaft in Schwung. Seine Aussenpolitik sicherte den Frieden und günstige Energie aus dem Osten.

Heute ist in Deutschland beides weg. Das Resultat fühlt sich elend an. Allerdings ist es nur ein Vorgeschmack darauf, was ganz Europa droht, wenn wir mit der blinden Kriegerei gegen Russland weitermachen. Diese Politik treibt die Russen in die Arme der Chinesen. Europa bliebe der Vorposten, der Bettvorleger der erstarkten Supermacht aus Asien.

Wollen wir unseren Kindern diese Tristesse hinterlassen? Stellen wir uns vor, was es konkret bedeutet: China wird dank Russlands Reservoiren übermächtig. Europa rutscht aufs Abstellgleis. Ennet der Ozeane schauen die Amerikaner für sich. Von Süden und Osten kommen die Afrikaner und die Muslime. Wirtschaftlich bricht Dürre aus.

Das ist finster, aber leider nur allzu realistisch. In Deutschland findet darüber keine Debatte statt. Die Politik verliert sich im Fieber der Waffen, der Rechthaberei. Wenn er denn überhaupt noch zu Wort kommt, mahnt Schröder, über den Krieg hinauszudenken, die Geopolitik nicht zu vergessen, einsamer Rufer in der Geisteswüste.

Es ist ein Jammer, dass Schröder nicht mehr Bundeskanzler ist. Ein Mann wie er fehlt heute in der Bundesrepublik. Die Stärke der Demokratie ist die Offenheit, der Streit. Auch davon ist wenig geblieben. Aus Demokratien werden Despotien, wenn kritisches Denken bestraft, «gecancelt» wird. Leider treiben die Medien den Ungeist noch voran.

Wo eigentlich ist die Europäische Union? Gibt es sie noch? Präsident Macron lässt sich beim Boxen fotografieren, mit einem Bizeps, der entweder computergeneriert oder Ausdruck übertriebener Eitelkeit ist. Hat der Staatschef Frankreichs so viel Zeit fürs Fitnessstudio? Die Mackerposen entlarven die Schwäche, die dahintersteckt.

Im vertrauten Kreis fragt sich Schröder, warum die Deutschen und die Franzosen, warum Scholz, dessen Taurus-Nein er unterstützt, und Macron ihre Ukraine-Unterstützung nicht schon längst an Friedensforderungen knüpfen. Selenskyj müsse Pläne vorlegen, wie er diesen Krieg beenden wolle, realistische Pläne.

Schröders Überlegungen sind vernünftig, doch die meisten deutschen Politiker und Journalisten huldigen nach wie vor dem Krieg, ohne selber ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Man spricht ausschliesslich über Waffen, aber überhaupt nicht wird darüber diskutiert, wie man zurück zum Frieden kommt.

Russland wird nicht einfach von der Landkarte verschwinden. Russland ist ein europäisches Land. Will man das im Funktionärseuropa der EU überhaupt noch wahrhaben? Kaum einer hat bessere Beziehungen zum Kreml und mehr Russland-Erfahrung als der Ex-Kanzler. Doch, verrückt, seine Expertise ist politisch nicht gefragt.

Schröder ist verschrien als Putin-Freund. Dabei wären seine hervorragenden Verbindungen zum Kreml heute ein Segen nicht nur für die Bundesrepublik. Die Art, wie sie mit dem früheren Regierungschef in Berlin umgehen, veranschaulicht den drastischen Verlust an Pragmatismus. Moralismus und Besserwisserei sind Trumpf.

Immerhin: Kanzler Olaf Scholz, den Schröder verteidigt, und Fraktionschef Rolf Mützenich, den sie für die Forderung, den Krieg «einzufrieren», jetzt heftig kritisieren, wandeln etwas, wenn auch unentschlossen, auf Schröders Spuren. FDP, Grüne, CDU/CSU hingegen trommeln fast hysterisch für Waffen, für Krieg.

Schröder ist von anderem Kaliber als heutige Genossen. Alles musste er sich erkämpfen. Das prägt. Weit leichtfüssiger kam da die junge Generation nach oben. Und für manche gilt: Je weniger man geleistet hat, desto mehr bildet man sich darauf ein. Jammerschade, dass Gerhard Schröder nicht mehr Bundeskanzler ist.