Wenn es für die Anmeldung nicht zu spät wäre: Wolodymyr Selenskyj hätte dieses Jahr den Nobelpreis für den Frieden verdient. Aus mehreren Gründen. Längst hätte der ukrainische Präsident das Weite suchen und ins Ausland fliehen können. Wie man aus dem Internet weiss, würde es ihm an finanziellen Mitteln nicht fehlen, um eine neue Existenz aufzubauen. Zudem erhielt er mindestens ein lukratives Exil-Angebot. Aber er zog es vor, sich in Kiew für die Unabhängigkeit seines Landes einzusetzen. Fast beleidigt lehnte er deshalb das Angebot aus Washington ab, sich mit seiner Familie in die USA abzusetzen.
Selenskyj kämpft in seiner Heimat weiter, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Dass er dabei nicht immer zimperlich vorgeht, ist verständlich, sogar notwendig: Die Armee, die sein Land angegriffen hat, wirft alle Militär-ethischen Prinzipien über Bord. Aber er stoppt Putins Walze, die sonst als Nächstes die Balten, Polen oder Ungarn bedrohen könnte. Selenskyj ist ein Bollwerk für Freiheit und Unabhängigkeit.
Zum Kampf gehört für ihn natürlich auch die Kunst, seine Anliegen geschickt vorzutragen, so, wie es nur Schauspieler können. Gelernt ist eben gelernt. Politiker sollten ihn dafür nicht rügen, sondern bei ihm in die Schule gehen, um zu studieren, wie man die Interessen seiner Wähler geschickt vertritt, auch gegenüber dem Ausland. Während einem bei anderen die Füsse einschlafen, wenn sie sich an die Nation wenden, versteht es Selenskyj, Aufmerksamkeit zu erregen. Dass er dabei auch Emotionen ins Spiel bringt, kann man ihm im ernst nicht wirklich vorwerfen, genauso wenig, dass er jedes Mal eine neue Forderung auftischt. Das ist seine Pflicht und nicht unverschämt. Denn er kann niemanden zwingen, seiner Bitte Folge zu leisten. Er versucht nur, zu überzeugen.
Der Präsident ist so, wie sein TV-Hit heisst, in dem er die Hauptrolle spielte: Ein Diener seines Volkes. Im Gegensatz zu seinem Erzfeind in Moskau hat er sich das Amt im Präsidentenpalast redlich verdient. Mit Wahlen, bei denen er vor drei Jahren den bisherigen Präsidenten Petro Poroschenko im zweiten Wahlgang deutlich mit 73 Prozent ausgestochen hat.