O Eitelkeit der Eitelkeiten,
alles ist Eitelkeit.

Gelimer, letzter König der Vandalen

 

Wer von euch ohne SĂŒnde ist,
werfe als Erster einen Stein auf sie.

Jesus von Nazareth

 

Grossartig ist Dan Jones’ Buch «MĂ€chte und Throne», eine neue Geschichte des Mittelalters. Es ist packend geschrieben, Ă€usserst lehrreich, erfrischend provokativ, ein Augenöffner auch in Bezug auf die Gegenwart. Unser verrĂŒcktes Woke-Zeitalter der KreuzzĂŒge und sinnlosen Kriege, der rabiaten Verfolgung Andersdenkender und einer allgemeinen Verschwörungsparanoia, die ĂŒberall «Feinde» und «Systemrivalen» wittert.

Zum Beispiel wusste ich nicht, dass die mörderischen Mongolen unter ihren HeerfĂŒhrern Dschingis Khan und Tamerlan nicht nur begnadete Killer, sondern auch Geburtshelfer der Globalisierung und des Wohlstands waren. Auf den TrĂŒmmern des Römischen Reichs, das in unzĂ€hlige germanisch-gotische Bezirke zerfallen war, schufen sie Gebirge von TotenschĂ€deln und eine Art weltumspannende Handelszone, die venezianische Kaufleute wie etwa Marco Polo fĂŒr immense Erlöse nutzten.

Das Mittelalter war eine Zeit der KreuzzĂŒge und der ideologischen Raserei. Über der Frage, ob Christus menschliche und göttliche Eigenschaften in sich vereinige oder ausschliesslich göttlich beschaffen sei, konnten Kriege entfesselt werden. «Ketzer» aller Art sahen sich gefoltert und verbrannt. Zwischen dem Papst und den Königen tobten unerbittliche Auseinandersetzungen. AllmĂ€hlich setzten sich die weltlichen Herrscher durch, auch dank ihrer Grausamkeit.

Es gibt wirklich nichts Neues unter der Sonne. Der aktuelle Feldzug gegen die konservativen Katholiken erinnert stark an die brutale Zerschmetterung des Templerordens durch Frankreichs König Philipp IV. im 14. ​Jahrhundert. Mit grotesken, weitgehend erfundenen VorwĂŒrfen auch sexueller Ausschweifungen schaltete der ehrgeizige Monarch den militĂ€rischen Arm des Vatikans aus. Wie heute, hatten dienstfertige Professoren die gewĂŒnschten Gutachten geliefert.

Viel hat sich nicht geĂ€ndert seither. Menschen sind herrschsĂŒchtig und intolerant. Man muss aufpassen, dass man nicht zermalmt wird. Je ĂŒberzeugter eine Gruppe von ihren Meinungen und Ansichten ist, desto grösser ist die Gefahr, ĂŒberfahren zu werden, fĂŒr alle, die es anders sehen. Immer wieder warnten Kleriker, Philosophen, Politiker vor der «Tyrannei der Mehrheit». Nur um festzustellen, dass diese Tyrannei immer droht, eine urmenschliche Konstante.

Menschen sind Idealisten. Sie haben die unangenehme Eigenschaft, ihre Ideale fĂŒr alternativlos zu halten. Wer sich mit dem Guten im Bund wĂ€hnt, kann Widerspruch weder verstehen noch dulden. Das Böse ist auch ein krĂ€ftiges Stimulans, ein Ego-Booster. Deshalb ist es immer ein gutes GefĂŒhl, gegen das Böse ins Feld zu ziehen. Auch die deutschen Nationalsozialisten waren Gutmenschen. Sie fĂŒhlten sich zu den grössten Verbrechen ermĂ€chtigt, um das aus ihrer Sicht Böse zu vernichten.

Es ist also nichts Neues, wenn wir auch heute totalitĂ€re Anwandlungen beobachten. Sie gehören zum Menschen. Wir sollten uns dessen aber bewusst und gegenĂŒber allen Idealen, vor allem den eigenen, skeptisch bleiben. Wenn ich das Wort «Wertegemeinschaft» höre, zucke ich zusammen. Dahinter steckt der falsche Hochmut einer sich fĂŒr ĂŒberlegen haltenden Gruppe von Menschen, die ihre Werte fĂŒr höherwertig betrachtet als die der anderen.

Gegen solche SelbsttĂ€uschungen traten ĂŒbrigens die frĂŒhen Christen an. Gegen die Helden- und Übermenschenmoral der klassischen Antike predigten sie die unausweichliche Verlorenheit, die Verworfenheit des Menschen. Niemand soll sich einbilden, er sei in moralischer Hinsicht etwas Besseres als der andere. Egal, wie wir uns mĂŒhen, anstrengen und optimieren, wir bleiben geschnitzt aus krummem Holz. Nur Gott, nicht der Mensch, kann den Menschen erlösen.

Daraus folgt Bescheidenheit. NatĂŒrlich haben die Kirchen ihr christliches Mandat immer wieder missbraucht, den Auftrag verfehlt. Daraus ihre Abschaffung abzuleiten, wĂ€re falsch. «Kirche»: Das Wort kommt vom Begriff der Kurie, der Gruppe, der Versammlung, der nichts Exklusives anhaftet. Die Kirchen sind das «stellvertretende Aufgebot» (Gerhard Blocher), das die Menschen daran erinnert, dass sie nicht das Mass aller Dinge, dass ihrer Herrschsucht Grenzen gesetzt sind.

Im Mittelalter sind die Christen am grausamsten verfolgt worden, die sich mit der Macht und mit der Hierarchie der dekadent gewordenen Kirche angelegt haben. Philipp IV. von Frankreich bestahl die Tempelritter, folterte sie und liess sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen, weil er in den aufrechten Kirchenkriegern eine Bedrohung seiner Macht, einen Staat im Staate sah. Christen leben gefÀhrlich. Ob katholisch oder evangelisch: Wer sich dem Zeitgeist widersetzt, muss Nachteile in Kauf nehmen.

Dan Jones’ fulminantes Buch ĂŒber das Mittelalter ist tröstlich. Alles war schon einmal da, und zum GlĂŒck werden wir heute in Europa nicht mehr auf den Scheiterhaufen geworfen, gefoltert oder in die Sklaverei verkauft. Die Methoden sind subtiler geworden, das ist ein Fortschritt, doch unverĂ€ndert bleibt die Notwendigkeit, die Freiheit des Einzelnen gegen die Macht, gegen den Staat, gegen die Intoleranz der Mehrheit und gegen den Zeitgeist zu verteidigen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Kreuzzug gegen die Kirche: Zum GlĂŒck werden wir heute nicht mehr auf den Scheiterhaufen geworfen, gefoltert oder in die Sklaverei verkauft. Die Methoden sind subtiler geworden, das ist ein Fortschritt, doch unverĂ€ndert bleibt die Notwendigkeit, die Freiheit des Einzelnen gegen die Macht, gegen den Staat, gegen die Intoleranz der Mehrheit und gegen den Zeitgeist zu verteidigen"
  • telegram@newsofehrmedia

    Die grösste Bedrohung fĂŒr die individuelle Freiheit sind nun aber heutzutage (leider) Grosskonzerne und Multis, sowie das hinter ihnen stehende Kapital der Investoren. Dort werden heute die Regel und die Gesetze gemacht, das Parlament ist lediglich zur Zier da, welche das rechtsgĂŒltig abzusegnen hat.

  • amboss81

    Da hat Herr Köppel mal wieder ein Thema gefunden, wo man Tag fĂŒr Tag etwas schreiben kann, was nicht ist. Mein Gott, niemand will der Kirche abschaffen oder irgendwie an den Karren fahren. Es geht einzig darum, dass die Kirche endlich gegen diese MissbrĂ€uche des kirchlichen Mandats (insbesondere KindsmissbrĂ€uche) vorgeht - und zwar ernsthaft und nicht einfach immer die TĂ€ter schĂŒtzt.

  • lustigerlagunenlurch

    Die Kirche stand und steht immer hinter den MĂ€chtigen, Königen, Regierungen.Nie fĂŒr die BĂŒrger und GlĂ€ubigen. Vatikanbank ist eine der reichsten Banken der Welt. Noch heute ist die Kirche nicht vollumfĂ€nglich den weltlichen Gesetzen verpflichtet. Religion ist ein Machtinstrument. Schön wenn es Menschen gibt die daran glauben.