Den Geschwistern und Bond-Produzenten Michael G. Wilson und Barbara Broccoli fiel James Bond in den Schoss. Sie konnten 1995 das Erbe ihres Vaters, des legendÀren Albert R. Broccoli, antreten.
Broccoli war neben Harry Saltzman einer der beiden Erfinder der Bond-Filme. Die Nachkommen haben in den Folgejahren Grosses geleistet. Zweimal haben sie der auf dem Sterbebett liegenden Figur des James Bond neues Leben eingehaucht. 1995 liessen sie den Spion mit «Golden Eye» in der Welt nach dem Mauerfall wieder auferstehen, und 2006 in «Casino Royale» ersetzten sie den mittlerweile dusslig-versnobten Kaschmir-Agenten Pierce Brosnan durch den harten Killer Daniel Craig. Zweimal ein Volltreffer. Allerdings gehen auch verschiedene Tiefpunkte auf das Konto des Produzenten-Duos. Wer daran zweifelt, dem sei empfohlen, sich wieder mal «Die Another Day» (2002) oder «Quantum of Solace» (2008) anzuschauen.
Das ĂŒbelste Machwerk, das unter der Ăgide Wilson/Broccoli entstanden ist, war aber «No Time to Die» (2021). Es war der Versuch, Figur wie auch Handlung in das Korsett wohlfeiler Wokeness zu zwĂ€ngen. Folgerichtig wird James Bond im grossen Finale zerstört. Aber nicht etwa heroisch im Kampf Mann gegen Mann, sondern durch ein Sperrfeuer aus Marschflugkörpern. Zerlegt in seine einzelnen Atome â ironischerweise aus den eigenen Reihen. DĂ©montage royal. Wer so einen Film produziert, muss seine eigene Schöpfung im Grunde abgrundtief verachten und will einen Schlussstrich ziehen.
Auch der Umstand, dass Wilson/Broccoli seit «Skyfall», also in den letzten dreizehn Jahren, gerade mal zwei Filme in die Kinos gebracht haben, deutet auf erhebliche ErmĂŒdungserscheinungen hin. VerstĂ€ndlich, wenn man bedenkt, dass Michael G. Wilson dieses Jahr 83 Jahre alt geworden ist. Hinzu kommt, dass die Geschwister es seit Daniel Craigs RĂŒcktritt im Jahr 2019 nicht geschafft haben, einen Nachfolger zu finden. Das ist betriebswirtschaftlich schlicht nicht nachvollziehbar. Jedes Jahr, das ohne neuen Bond-Film ins Land zieht, bedeutet einen Umsatzausfall in dreistelliger Millionenhöhe.
Die vollstĂ€ndige Ăbernahme der Bond-Franchise durch Jeff Bezosâ Amazon ist eine riesige Chance fĂŒr die Reihe und ein GlĂŒcksfall fĂŒr echte Bond-Liebhaber. Dem BedenkentrĂ€ger, der befĂŒrchtet, Amazon wĂŒrde die Reihe mit seinem algorithmisch gesteuerten superkapitalistischen Monetarisierungsapparat zerstören, dem sei entgegengehalten, dass Bond-Filme seit je in beispiellosem Masse kommerzialisiert waren. Ja, EON-Productions gilt als die Erfinderin des native advertising im FilmgeschĂ€ft. Man denke nur an das product placement von Aston Martin, Smirnoff Vodka, Bollinger, Omega Watches oder die zahllosen fashion-Labels, die von 007-Badelatschen bis hin zu tuxedos in midnight blue alles anbieten, was der modebewusste Spion je getragen hat. Das hat bis jetzt kaum einen gestört.
Auch die BefĂŒrchtung, die Reihe wĂŒrde durch Spin-offs im Stil des Marvel-Modells verwĂ€ssert werden, gilt nur bedingt. Gemeint sind eigenstĂ€ndige Produktionen, die den Fokus auf Nebenfiguren oder alternative HandlungsstrĂ€nge legen. Seit dem Tod von Bond-Erfinder Ian Fleming im Jahr 1964 sind Dutzende von Bond-Romanen entstanden, die genau das gemacht haben. ErwĂ€hnt sei etwa die fiktive James-Bond-Biografie von John Pearson aus dem Jahr 1973: «James Bond â The Authorized Biography of 007». Pearson konstruiert in diesem Werk ein umfassendes PortrĂ€t von Bond, als ob dieser ein real existierender Mensch wĂ€re, und zwar in Form eines Interviews mit dem mittlerweile pensionierten Geheimagenten.
Jetzt mĂŒsste man sich noch vorstellen, eben jene fiktive Bond-Biografie von Pearson wĂŒrde von einem Christopher Nolan oder gar von Quentin Tarantino verfilmt. Da muss das Herz eines Bond-Fans doch jubilieren. Oder man denke an «Joker» (2019). Ein cineastisches Meisterwerk von Todd Philipps um einen Psychopathen aus dem Batman-Universum. WĂ€re dasselbe mit Prequels zu Figuren wie Auric Goldfinger oder Ernst Stavro Blofeld denkbar? NatĂŒrlich. Ein Versuch wĂ€re es allemal wert. Denn es kann nach «No Time to Die» eigentlich nur besser werden.
Literatur: Der neue Bildband «The Blofeld Files â The Making of the Iconic Alpine Sequence in the James Bond Movie âčOn Her Majestyâs Secret Serviceâș» von Peter WĂ€lty und Steffen Appel erscheint Mitte MĂ€rz bei Edition Bleuchamp.
Alle schimpfen und rĂŒmpfen die Nase ĂŒber Daniel Craig. Ich finde ihn sehr gut und glaubwĂŒrdig. Ein Bond, der nicht ĂŒber alles erhaben ist, ein erwachsener Waisenjunge, nicht so affig & albern wie seine VorgĂ€nger in etlichen schmalzig-peinlichen Szenen. Auch schauspielerisch finde ich seine Leistung sehr gut. Von kĂŒhler Arroganz bis haarstrĂ€ubendem Schmerz (Folterszene in Casino Royal). Viele Stunts hat er selbst gespielt. Es ist ein Bond, der zweifelt, trauert, kĂ€mpft, schmutzig und verletzt.
Wenn es jedes Jahr einen Bond-Film gegeben hĂ€tte, wĂ€re die Serie lĂ€ngst eingestampft. Die Themen waren sowieso zunehmend an den Haaren herbeigezogen.  Daniel Craig stellt einen Bruch zum typischen, halb-aristokratischen Charakter von 007 dar, der von Sean Connery schon eine Spur, von Roger Moore etabliert und von Pierce Brosnan weitergefĂŒhrt wurde.  Action gibt es hingegen an jeder Ecke, weil es auĂer Gefahr keine Grundidee gibt, was ohne Aufmerksamkeitsverlust nur surreal gelöst werden kann.
Ein Quantum Trost war meiner Ansicht nach einer der besten Bondfilme. Er traute sich was, sowohl politisch, von der Ăsthetik her, der Musik und den spektakulĂ€ren Orten in Bregenz auf der BĂŒhne auf dem Bodensee zu einer Tosca-AuffĂŒhrung, der krassen Verfolgungsjagd zu Beginn am Gardasee ĂŒber die klassischen Orte Siena usw., den doppelzĂŒngigen, anbiedernden grĂŒnen Unternehmerbösewicht und die zwiespĂ€ltige Rolle der CIA-SĂŒdamerika bis zum Ende in Kazan/Russland. Es ist ein sehr erwachsener Bond.